: Schwarze Attacken
■ Einige Anmerkungen zu den „Mainzer Tagen der Fernsehkritik“ aus östlicher Sicht
Alles, was vom DDR-Fernsehen bis zum Herbst 1989 über die Menschheit kam, sei eine Schande für die deutsche Kultur gewesen. Mit diesen Worten eröffnete Hans Bentzien, der Adlershofer „Generalintendant“ bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik, seinen Vortrag zum Thema Medienwende in der DDR und verbreitete den unerschütterlichen Eindruck, als habe er mit alledem nichts zu tun gehabt.
Es soll hier nicht noch einmal das Gegenteil belegt werden (Bentzien war in den Sechzigern Kulturminister, dann Verlagsleiter, seitdem ist er beim Fernsehen „in verantwortlicher Position“) - die Frage ist vielmehr: Wie voll muß einer angesichts der ungewissen Zukunft die Hosen haben, daß er meint, sie so erschreckend dumm herunterlassen, zumal Worte wie „Schande für die deutsche Kultur“ irgendwo folgerichtig bei einem Vokabular wie „entarteter Kunst“ landen.
Dieser Gewissensstrip aber hat Bentzien (und hier kommt fast Mitleid auf) nicht mehr viel geholfen - zwei Tage später war sein Stuhl in Adlershof („auf Wunsch des Ministerpräsidenten“) neu besetzt - mit dem bisherigen Potsdamer Theaterintendanten Gero Hammer, der hoffentlich besser mit seiner und der DDR-Vergangenheit umzugehen weiß.
Hatte nicht Bentzien auch früher so manches ordentliche Stück Fernsehen zu verantworten, wenigstens nicht zur Strecke gebracht? Bleiben da nicht mindestens Sandmann oder Wetterbericht? Hatte er nicht selbst noch vor kurzem sauber recherchierte Dokumentationen über den 20. Juli gemacht? Muß man sich tatsächlich so sehr ausradieren, um zu bleiben? Bentzien massierte auch noch die Worthülse von den ersten freien Wahlen seit '33, und dann kam deren Sieger als neue Herrlichkeit zu Wort: Jürgen Schwarz aus Dresden, der nicht nur so heißt, sondern Chef der DSU -Fraktion ist und Vorsitzender des Medienausschusses der Volkskammer, ein Newcomer auf dem Gebiet der Politik und im Bereich der Medien.
Auch er hat Vorleistungen auf beiden Terrains: Als bisherigem Geschichtslehrer im „Tal der toten Augen“ geht ihm die Empörung, „überall Wendehälse“, besonders hurtig von den Lippen, und medienkundig ist er spätestens, seit er eine Satellitenschüssel im Garten stehen hat. Noch am Montag abend, im 'Spiegel-TV‘, konnte man die Rosenpracht bestaunen und sehen, wie Schwarz seinem Parteifreund Diestel mit Schaum vorm Maul an den Ministersessel wollte. Dieser Schwarz attackierte nicht Adlershof - da kommt seine Partei (und deren neue Blockpartei) zur Zeit wunderbar oft ins Bild -, er ging mit der ARD harsch ins Gericht: „Herr Pleitgen, das wollte ich Ihnen schon immer mal sagen: Wielange wollen Sie eigentlich noch diese linken Typen wie Bohley, Gysi und Reiche über den Äther bringen? Wann endlich zeigen Sie die Repräsentanten des freien Volkswillens?“
Zur Diskussion, ob man das Geschehen in der DDR Revolution nennen könne oder nicht, läßt sich in diesem Zusammenhang nur sagen: Es kann eigentlich keine Revolution gewesen sein, wenn am Ende ein Herr Schwarz regiert. Dieser Schwarz hat etwas vom Gebaren eines ungeliebten Paukers, der die Streiche seiner Schüler hinnimmt mit bösem Lächeln und halbgeöffnetem Mund („Na wartet! Bald gibt's Zeugnisse...“), und in diesem Sinne ist die Vorstellung grausig, daß Schwarz aufs Adlershofer Fernsehen Zugriff bekommt. Bei der Beschreibung dieses Herrn bin ich richtig geneigt, die Grenzen der neuen Pressefreiheit in der DDR zu testen.
Detlef Schrader, Chef des Adlershofer Kulturmagazins (jetzt Kontur), ließ es sich - in einem späten Mutausbruch - nicht nehmen, Joachim Herrmann das dümmste Mitglied des Politbüros zu nennen, anstatt vielleicht zu bekennen, daß Jürgen Schwarz‘ Auslassungen über Medien heute das Haarsträubendste in punkto Sachkompetenz und neuer Parteienanbindung sind.
Dietmar Hochmuth
(Der Autor ist Spielfilmregisseur bei der DEFA)
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