: Warenverkauf direkt ab Fabrik
■ Debatte in der Volkskammer zur Versorgungslage Neuer Sonderausschuß soll Stasi-Auflösung kontrollieren
Berlin (taz/dpa) - Die aktuelle Stunde der Volkskammer geriet gestern zu einer Stunde der Frauen. Bezeichnenderweise, könnte man fast meinen, drehte es sich doch um das Thema Einkaufen, oder - in der Sprache der Tagesordnung - um die „Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs“. Die zahlreichen Rednerinnen veranlaßten Burkhard Dörr von den Liberalen promt zu der Bemerkung: „Ich hoffe, Sie verzeihen mir, daß ich keine Frau bin“.
Angesichts der desolaten Versorgungslage betrieben die Abgeordneten „Schadensbegrenzung“, wie es Dörte Martini von der CDU formulierte, und beschlossen, daß die Produzenten ihre Waren künftig direkt an Einzelhändler und Endverbraucher verkaufen können. Damit wird den Herstellerbetrieben das Recht eingeräumt, ihre Waren zu den gleichen Konditionen wie Handelseinrichtungen abzusetzen.
Ehe es jedoch um Brot, Honig, leere Regale in den Geschäften und der Suche nach den Schuldigen ging, widmeten sich die Abgeordneten aus aktuellem Anlaß dem Thema China. In einer gemeinsamen Erklärung entschuldigten sie sich für die Haltung der früheren Regierung anläßlich der Vorgänge auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im vergangenen Jahr. Die damalige Volkskammer hatte am 8. Juni 1989 eine Stellungnahme abgegeben, in der der Militäreinsatz gerechtfertigt wurde. Die gestrige Erklärung wurde „in Kenntnis dessen“ abgegeben, daß in der DDR im Oktober 1989 die Gefahr der Wiederholung chinesischer Verhältnisse bestanden habe.
Bei der Debatte über die Versorgungsprobleme beklagten Abgeordnete verschiedener Fraktionen, daß die Produzenten vor allem auch im landwirtschaftlichen Bereich - auf ihren Waren sitzen blieben, die Regale aber leer seien. Sie warfen den Geschäftsführern der Handelsorganisationen vor, jahrelang als glühende Kommunisten Planwirtschaft betrieben zu haben, jetzt aber frühkapitalistische Methoden an den Bürgern zu erproben - als sogenannte „Kommupitalisten“, wie es Hans-Georg Dorendorf von der CDU ausdrückte.
Der Staatssekretär beim Ministerium für Handel und Tourismus Werner Jurich erklärte, der Handel versuche, die Bestände möglichst gering zu halten. Dies hänge auch mit der Umbewertung der Bestände bei der Einführung der D-Mark zusammen. Dörr verlangte, den Handel zu verpflichten, die Waren bis Juli abzunehmen. Mögliche Verluste auf Grund niedriger Preise für DDR-Waren und Waren aus anderen sozialistischen Ländern müßten im Staatshaushalt aufgefangen werden. Dafür gibt es allerdings noch keine Regelung.
Um die Vergangenheit ging es noch einmal, als die Volkskammer die Einrichtung eines Sonderausschusses zur Kontrolle der vollständigen Auflösung des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes beschloß, dem Abgeordnete aller sieben Fraktionen angehören werden. Mit der Auflösung ist derzeit eine Regierungskommission aus Theologen, Künstlern und Juristen befaßt.
Auf Antrag der Liberalen wurde die Aufgabenstellung des Ausschusses erweitert. Dabei geht es um die Einweisung von politisch Unliebsamen in Nervenkliniken, die geplante Einrichtung von Internierungslagern für Oppositionelle und die Internierungslager des damaligen sowjetischen Geheimdienstes NKWD auf dem Gebiet der sowjetisch besetzten Zone.
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