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Aufträge für den Umweltschutz fehlen bislang

In Kobe steht das Musterwerk der japanischen Schwerindustrie / Statt der Kriegsschiffe baut Mitsubishi heute Atomkraftwerke Eine Wiederaufbereitungsanlage ist in der Produktion, aber der Bau des dazugehörigen Schnellen Brüters ist um 40 Jahre verschoben  ■  Von C. Yamamoto und G. Blume

Kobe (taz) - Beeindruckend ist das immer, wenn die ganz Großen ihr Handwerk vorführen. Im Hafen von Kobe, der alten japanischen Handelsstadt, stellt sich Nippons größter Hersteller von Schiffen, Flugzeugen, (Atom-)Kraftwerken und Rüstungsgütern, die Firma Mitsubishi Heavy Industries gerne zur Schau. Nichts gibt es mehr zu verbergen. Neben der Montagehalle für Atomreaktoren liegt ein Luxuspassagierschiff vor Anker. Da glänzen die Stahlteile der neuen japanischen Wiederaufbereitungsanlage im Neonlicht. Hier simuliert ein Ingenieur am blinkenden Bildschirm den Unfall im Atomkraftwerk. Dort schweißen Arbeiter am Leib einer Weltraumrakete. Und alles dicht beieinander, auf nur 60 Hektar Grundfläche.

Nicht nur die Moderne steht in Kobe im Mittelpunkt. Gerne blicken die Mitsubishi-Manager auf die 85jährige Geschichte ihres Großbetriebes zurück. Nacheinander bauten Mitsubishi -Leute im Hafenbecken von Kobe das erste Auto, die erste Dampflokomotive und auch noch die erste Wasserturbine ihres Landes. Im alten Direktionsgebäude hängen große Tafeln, die Hunderte von Schiffen verzeichnen, die alle einmal in Kobe vom Stapel liefen. Daß die Zahl der Schiffstaufen zwischen 1940 und 1945 besonders hoch liegt, fällt niemandem mehr auf. Umso schöner macht sich heute die Nippon Maru, der 160 Meter lange Luxusdampfer im Mitsubishi-Hafen von Kobe. Sogar des Kaisers Tochter kam, um ihn zu taufen. Jetzt erledigen die Schiffsarbeiter noch den Innenausbau.

Sonst baut Mitsubishi Heavy Industries in Kobe wahrhaftige Riesenschiffe mit mehr als 40.000 Bruttoregistertonnen, die für den Holztransport aus Dritt-Welt-Ländern benötigt werden. Gleich zwei von ihnen wurden in den vergangenen Monaten fertiggestellt. Sie fahren nun die tropischen Wälder ab.

Weil aber die Schiffbauindustrie dahinsiecht, haben sich die Mitsubishi-Ingenieure in Kobe Neues ausgedacht. Bisher erscheint es nur als kleine Plastikwanne, obwohl immerhin 20 Meter lang, aber es soll das Schiff der Zukunft sein. Die „Yamato-1“ ist ein elektromagnetisch angetriebenes Versuchsboot. An ihr fummeln derzeit nur einige Lackierer, weil die Forscher ihren neuen Schiffsmotor noch im Labor erproben. Dort hat er angeblich funktioniert, und in diesem Jahr ist Stapellauf. Dann soll ein Schiff ganz ohne Energiezufuhr acht Knoten schnell fahren.

Nicht mehr so lustig sind die Experimente im nächsten Bau. „Drücken Sie bitte auf den roten Knopf“, fordert Tadatoshi Obi, der Leiter des „AKW-Simulationszentrums“ auf dem Mitsubishi-Gelände in Kobe, den Besucher auf. Der drückt den Knopf, und im nächsten Augenblick flimmert es rot und orange im Computersaal. „Sie haben soeben den Hauptreaktor des angenommenen Atomkraftwerkes abgeschaltet“, erklärt der kleine, grauhaarige Mann, den das Mitsubishi-Management als besten AKW-Sicherheitsexperten des Hauses vorstellt. „Wenn hundert Lampen leuchten, sind nur zehn davon rot, und die sind wichtig.“

Nach dieser Vorstellung will sich Obi höflich verabschieden. Er ist offenbar nur geringes Interesse gewohnt. Dann aber wird er deutlicher: „Unser Sicherheitssystem funktioniert immer.“

„Haben Sie alle Fehlerquellen überprüft?“

„Es gibt so wenig Unfälle in Japan. Deswegen gibt es auch keine Fehlerquellen.“

„Gehören nicht Erdbeben, die in Japan häufig vorkommen, zu den möglichen 'Fehlerquellen‘?“

„Mitsubishi bemüht sich sehr um die Erdbeben-Sicherheit der Atomkraftwerke. Alle Geräte im Reaktor werden erdbebengeprüft.“

„Aber man testet nur Einzelteile, nie den gesamten Reaktor?“

„Das ist richtig, aber die Compter sind besser geworden.“

Dann weiß der Mitsubishi-Sicherheitsexperte nicht mehr weiter und verabschiedet sich endgültig. Aber auch für den Fall der Fälle hat er vorgesorgt: Im Kommandosaal des Simulationszentrums steht ein kleiner Shinto-Schrein, vor dem die Angestellten täglich ihr Gelöbnis abgeben können. Sie haben ihn mit grünen Eukalyptusblättern in weißen Vasen geschmückt.

Mitsubishi Heavy Industries in Kobe ist weltweit das einzige Unternehmen, bei dem heute noch sechs neue Atomkraftwerke auf der Auftragsliste stehen. Ihre Finanzierung ist gesichert; 17 Reaktoren haben das Werk bislang verlassen. Nobutaka Nakajima, der den AKW-Bau in Kobe leitet, überwacht annähernd 500 Angestellte, die am Tag durchschnittlich zehn Stunden schuften müssen, davon zwei Überstunden. Frage an den Chef, wie lange das noch dauern soll, wo weltweit die Kollegen der strahlenden Zunft um ihre Arbeitsplätze bangen? „Der Reaktor, der im Moment gebaut wird, der ist wichtig. Darauf kommt es an.“

An die Zukunft mag also auch Nakajima nicht denken. Er zeigt auf eine abgetrennte Halle, in der ein Dutzend Arbeiter in staubfreien Anzügen an Nippons erster Wiederaufbereitungshalle schleifen. Nun hat die japanische Regierung entschieden, die Fertigstellung eines Schnellen Brüters bis ins Jahr 2030 aufzuschieben. Warum dann jetzt die WAA, die eigentlich zum nuklearen Brennstoffkreislauf gehört? „Das ist eigentlich unlogisch“, weiß Nakajima, „aber dafür bin ich nicht zuständig.“

Statt Atomkraftwerken könnte Mitsubishi in Kobe auch aufwendige Filter für Kohlekraftwerke oder Entschwefelungsanlagen bauen. Das Werk besitzt Produktionskapazitäten für hundert solcher Anlagen im Jahr. Doch fehlt die Umwelttechnologie im Besuchsprogramm. Es gibt keine Aufträge. Die Mitsubishi-Manager entschuldigen sich mit mehreren Verbeugungen.

Dafür können sie noch Weltraumraketen zeigen und große Dieselmotoren und vieles mehr. Sogar die gigantischen Fräsen mit einem Durchmesser von 8,62 Meter für den Tunnelbau unter dem Ärmelkanal wurden in Kobe hergestellt. Mitsubishi Heavy Industries ist ein internationaler Spitzenbetrieb. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen einen Jahresumsatz von 23 Milliarden DM; die Gewinne lagen bei 1,2 Milliarden DM. Für den Chef in Tokio ist auch das freilich nicht genug. Yotaro Iida, Präsident von Mitsubishi Heavy Industries, hebt in einem Büro die Arme und schwört: „Immer wieder sage ich unseren Angestellten: Die ganze Welt muß Mitsubishi vertrauen. Die ganze Welt muß Mitsubishi lieben. Sonst hat Mitsubishi keine Daseinsberechtigung.“

Auf den Betriebsversammlungen, die man auch in Kobe kennt, klatschen dann die Angestellten. Doch vor dem Werkstor sieht die Welt schon manchmal anders aus: „Ich will nicht geliebt werden. Ich will weniger Überstunden“, bemerkt ein Reaktorbauer im Werksanzug. Recht hat er! Wenn er nämlich zu viel arbeitet und deshalb einen Fehler macht, und wenn dann im Atomkraftwerk ein Unfall passiert - wer kann dann noch Mitsubishi lieben?

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