piwik no script img

Kirgisien am Rande des Bürgerkrieges

■ Ausnahmezustand über Hauptstadt Frunse verhängt / Regierungsgebäude von Demonstranten belagert / Grenzen zwischen Usbekistan und Kirgisien gesperrt / Usbeken fordern autonome Region / Innenminister Bakatin: Sowjettruppen sind nicht zum Eingreifen da

Moskau (afp/dpa/taz) - Ständige Demonstrationen in der kirgisischen Hauptstadt Frunse haben gestern das Parlament der Republik bewogen, für den späten Abend die Verhängung des Ausnahmezustandes über die Stadt anzukündigen. Rund 4.000 Kundgebungsteilnehmer belagern laut 'Tass‘ seit gestern früh das Regierungsgebäude und fordern den Rücktritt der Regierung bis zum Sonntag. Seit Mittwoch finden in der Stadt unerlaubte Versammlungen statt, nach Aussagen des kirgisischen Innenministeriums eine „organisierte Provokation“. In Frunse haben bereits vor mehreren Monaten wohnungslose Arbeiter und kirgisische Studenten Land besetzt und der Regierung mit Unruhen gedroht, falls sie kein Baumaterial für Eigenheime erhielten.

Mittlerweile haben sich die blutigen Konfrontationen zwischen Kirgisen und Usbeken, die am Montag in Osch begannen, auf fünf Bezirke Kirgisiens sowie Teile Usbekistans ausgedehnt. Dies teilte der sowjetische Innenminister Bakatin dem Obersten Sowjet in Moskau mit. 48 Tote und über 300 Verletzte seien das bisherige Ergebnis. Die Verkehrswege zwischen Usbekistan und Kirgisien seien gesperrt.

Die zusätzlichen Truppen, die Moskau in das Krisengebiet entsandt hat, haben nach eigenen Angaben noch nicht in die Kämpfe eingegriffen. 900 Angehörige der Miliz und der Truppen des Innenministeriums, 1.500 Armee- sowie 450 Grenztruppenangehörige waren am Mittwoch entsandt worden. Innenminister Bakatin, dem diese Truppen unterstehen, sagte, sie seien nicht dazu da und auch nicht in der Lage, einen Streit wie den zwischen Kirgisen und Usbeken zu beenden. Bakatin äußerte weiter die Befürchtung, „die lokalen Unruhen könnten sich zu einem Bürgerkrieg zwischen den beiden Republiken ausweiten“.

Tatsächlich ist besonders in der westkirgisischen Stadt Usgen die Lage äußerst gespannt. Seit Tagen treffen bewaffnete Angehörige beider Nationalitäten aus anderen Landesteilen ein, um sich der Konfrontation anzuschließen. Hubschrauber kreisen über der Stadt, die Brot- und Milchverteilung wird durch Panzer gesichert. Nach Angaben von 'Interfax‘ hat es in Usgen sowie in den Städten Alai, Arawan und Karasuisk Versuche gegeben, Gebäude des Innenminsiteriums zu stürmen. In Osch, das unter Ausnahmezustand steht, patrouillierten gestern Soldaten. 2.000 Usbeken, die versuchten, von Usbekistan nach Kirgisien zu marschieren, wurden an Straßensperren zurückgewiesen.

Auch auf politischer Ebene ziehen die Ereignisse Kreise. Laut 'Tass‘ haben „informelle usbekische Organisationen“ in einem Ultimatum die Gründung einer autonomen usbekischen Region in Kirgisien gefordert.

Barbara Kerneck/D.J.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen