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Zu Besuch bei den“ dunklen Kräften“

■ Enthüllungen über die Spitzeltätigkeit führender Politiker bestimmten die Schlußphase des Wahlkampfs /Eine öffentliche Diskussion über die Motive der Kollaboration tut Not /Heroisierung der Chartisten beruhigt das Gewissen /Besuch im ehemaligen Augustinerkloster

Prag (taz) - „Das System ist tot“, sagt mir der Philosoph Milan Simecka, „aber der Leichnam wird noch lange stinken“. Wir hocken im Hinterhof des Bratslaver Hauptquartiers von „Öffentlichkeit gegen Gewalt“, dem slowakischen Pendant des Bürgerforums. Gerade haben im fernen Prag der Generalstaatsanwalt, der Präsidentenberater Krizan und der Vizeinnenminster und Ex-Subkulturelle Jan Ruml bekanntgegeben, daß der Spitzelverdacht gegen den Vorsitzenden der christlichen Volkspartei, Josef Bartoncik, über allen Zweifel erhärtet sei. Bartoncik war von Präsident Havel gebeten worden, seine Kandidatur in aller Stiulle zurückzuziehen. Er versprachs, vergaß es dann anschiessend, so daß nach Abschluß des Wahlkampfs nichts übrigblieb, als die Fakten bekanntzugeben. Wer sich vorher, im Ergebnis der freiwilligen „Lustrierung“, wie die Überprüfung hier heißt, zurückzog, konnte hoffen, in der stattlichen Liste derer unterzugehen, die tatsächlich aus Gesundheitsgründen, Fraktionsstreitigkeiten oder sonstigenm Unbill zurückgetreten waren. „Ich habe Verständnis für Menschen, die eine Erklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben haben, weil ihre Kinder studieren sollten oder die Frau zu einer Operation nach Deutschland mußte. Aber schließlich können wir mit Spitzeln und Zuträgern keinen Neuanfang machen. Unter meinen engsten Freunden gibt es STB-Mitarbeiter, sie haben es einfach verdrängt. Es hilft nur eins, eine öffentliche Debatte. Man muß die Motive nachvollziehbar und verstehbar machen“.

Von einer solchen Debatte ist die Öffentlichkeit in der CSFR noch weit entfernt. Im Augenblick dominiert die Tendenz, die Tapferen wie Simecka zu feiern und damit das eigene Gewissen ein wenig zu entlasten. Man dokumentiert Filmmaterial, daß der STB von Dissidententreffen drehte (der Autor hatte das Vergnügen, sich auf diese Weise in der Glotze zu sehen) und zeigt zum Xten Mal schurkische Zivilbullen, wie sie auf Demonstranten eindreschen. Was aber treiben diese Bösewichter gegenwärtig, wie arrangieren sie sich angesichts des für sie so ungünstigen Verlaufs der Dinge?

Gegenüber dem protzigen Kulturpalast, in dem während des Wahlkampfs das Pressezentrum untergebracht war, liegt das alte Augustinerkloster mit seiner schönen roten Kuppel, in dem jetzt ein Museum untergebracht ist. Ein Mittagsspaziergang führte mich in den ehemaligen Klostergarten, wo die versammelte Museumsbelegschaft Würstchen röstete und Bier trank. „Willkommen“ sagt ein alter Herr, „darf ich Sie als den letzten Besucher des Museums für Staatssicherheit begrüßen?“ „Ich glaube kaum, daß ich willkommen bin“ erwidere ich. „Daß ich hier herumspaziere, verdanke ich Ihrer Entmachtung“. „Macht nichts“, sagt der Alte, „setzen sie sich trotzdem. Minister Sacher hat soeben beschlossen, das Museum dicht zu machen. Wir sind schliesslich ein Überbleibsel xder dunklen Kräfte“. Ich nehme Platz und merke an, daß ich den Innenminister zwar nicht schätzen, mir diese Maßnahme aber einleuchten würde. Als Ehrengast werde ich mit Materialien einschliesslich einer Anstecknadel des Sicherheitsdienstes eingedeckt. Ach was waren das noch für Zeiten, als hier die Schulklassen vom Kampfauftrag dieses Stoßtrupps der proletarischen Diktatur erfuhren und Kunde erhielten, wie 1968 die imperialistisch -revisionistische Verschwörung mit Hilfe der Bruderländer zerschlagen wurde. Die Stimmung cder Sicherheitsvetranen ist heiter-melancholisch. Maliziös frage ich nach, ob schon jemand neue Arbeit hätte ? Noch keiner „aber deswegen werden wir nicht am Hungertuch nagen“. Kein Wunder, die KP, für die sie nur ein mitleidiges Lächeln haben, wird ihnen 6 Übergangsgehälter zahlen. Dann wwird man weiter sehen. Plötzlich kommt unter der Belegschaft Empörung auf. Ein Artikel des Prager Abendblatts wird herumgereicht. Auf dem verwaisten Sockel des ehemaligen Stalindenkmals soll ein überlebensgroßer Gartenzwerg gehievt werden, der eine Maschinenpistole in den Händen hält. „Dabei ist das Stalindenkmal noch unter Novotny demontiert worden“ empört sich einer der Wächter. Post-Stalinisten waren sie schliesslich auch, darauf würden sie bestehen. Ich verabschiede mich schnell und strebe von den dunklen Kräften wieder ins Helle. In einer halben Stunde wird Präsident Havel seine Stimme in einer Schulaula abgeben und um dies zu berichten, werde ich schließlich bezahlt.

Christian Semler

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