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SPD: Mit neuem Chef in die Parteieinheit

Überraschend wählten die Delegierten den 46jährigen Germanisten Wolfgang Thierse zum neuen Parteivorsitzenden / Einheit von West- und Ost-SPD beschlossen / Ehemalige SED-Miglieder können aufgenommen werden / „Selbstbestimmte Schwangerschaft“ im Grundsatzprogramm  ■  Aus Halle Brigitte Fehrle

Die SPD hat einen neuen Vorsitzenden. Auf ihrem Sonderparteitag in Halle wählten die Delegierten mit überwältigender Mehrheit den Berliner Wolfgang Thierse (46). Der vom Bezirk Halle nominierte und vom Landesverband Brandenburg unterstützte Thierse konnte sich auf Anhieb im ersten Wahlgang mit 271 Stimmen gegen die beiden Vorstandskandidaten, den Mecklenburger Pfarrer Timm (34) und den Berliner Dankward Brinksmeier (34) - ebenfalls Pfarrer durchsetzen. Timm bekam nur 51, Brinksmeier 65 der 397 abgegebenen Stimmen.

Die Sozialdemokraten wollen so schnell wie möglich die notwendigen Schritte zur Einheit mit ihrer Schwesterpartei in der Bundesrepublik einleiten. Mit nur zwei Gegenstimmen beschlossen die Delegierten, den neuen Parteivorsitzenden zu beauftragen, gemeinsam mit seinem Kollegen im Westen eine Kommission einzusetzen, mit dem Ziel, die Vereinigung der beiden Parteien einzuleiten. Ein genauer Termin für den Zusammenschluß wurde nicht vereinbart. Der Ehrenvorsitzende Willi Brandt hatte den Parteitag aufgefordert, zu erkennen zu geben, „daß er die Einheit will“. Parteivorsitzender Thierse plädierte in seinem Schlußwort für Umsicht. Die Partei solle „Schritt für Schritt“ in die Einheit, und zwar mit „erhobenem Kopf“. Nach dem 2. Juli habe man hoffentlich etwas mehr Zeit als in den zurückliegenden Monaten.

Deutlich wurde ebenfalls, daß die SPD-Ost den Staatsvertrag will. Außenminister Markus Meckel forderte die SPD-West auf, dem umstrittenen Vertrag auch in der bisher vorliegenden Form zuzustimmen. Der neu gewählte Parteivorsitzende mahnte zur Gelassenheit in der Diskussion um Oskar Lafontaine. Er sei ganz froh, sagte er, daß die Sozialdemokraten im Westen jetzt noch versuchten, Verbesserungen herauszuschlagen, die der SPD in der DDR nicht gelungen seien. Die Bitte um Verständnis für die Positionen des Kanzlerkandidaten, ausgesprochen sowohl vom West-Gast Hans-Jochen Vogel als auch vom Ehrenvorsitzenden Willi Brandt, erwies sich als überflüssig. Die Delegierten waren auf den Saarländer gut zu sprechen. Wann immer Oskar Lafontaines Name fiel, erntete er Beifall.

In Zukunft können in die SPD auch Mitglieder ehemaliger Blockparteien eintreten, wenn sich in der Ortsgruppe eine Zweidrittelmehrheit für einen Aufnahmeantrag findet. Die neuen Mitglieder sollen dann allerdings ein Jahr lang kein Amt und kein Mandat innehaben können. Entsprechende Anträge waren vom Vorstand, den Jusos aus Chemnitz und dem Kreisverband Weimar/Land eingegangen. Mit 162 Ja-Stimmen bei 112-Nein Stimmen beschlossen die Delegierten die neue Regelung und hoben damit das Beitrittsverbot für SED -Mitglieder, die erst nach dem 7. Oktober ihre Partei verlassen hatten, auf.

Angenommen wurde auch ein Antrag des Vorstandes zum Schwangerschaftsabbruch: „Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.“ Diese Hilfen sollen nach Ansicht der Sozialdemokraten als einklagbare Rechte festgeschrieben werden. Darunter fallen unter anderem: Fortsetzung der Ausbildung, ausreichender Wohnraum, Kinderbetreuung, verbindliche Aufklärungskonzepte, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, und eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten, der die Frauen generell nicht mit Strafen bedroht. Die Delegierten folgten mit nur zwei Gegenstimmen diesem Antrag auf Ergänzung des Grundsatzprogramms. Siehe Bericht zum Parteitag und Porträt des Vorsitzenden auf Seite 7

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