piwik no script img

BLICK AUF DEN RISS

■ Fotos von Arno Fischer in der Galerie Vier

Kommt -, wir wollen wieder zum Herrn, denn Er hat uns zerrissen, Er wird uns auch heilen.“ (Hosea, 6.1): Diese Litfaßsäulenaufschrift aus dem Groß-Berlin der ausgehenden 50er Jahre könnte das übergreifende Motto dieser Fotoausstellung von Arno Fischer in Ost-Berlin sein.

Als „spiritus rector“ der DDR-Fotografie ist Fischer seit Mitte der fünfziger Jahre fotografisch aktiv und hat daher Bildmaterial aus der Zeit vor, mit und nach der Mauer zu bieten. Das Bibelzitat klebt auf der Litfaßsäule neben einer Reklame im flotten, schrägen 50er-Jahre-Schriftzug: „Gartenmöbel lackieren, natürlich mit Eldalux“. Und prompt blickt ein auf Hochglanz polierter Fünfziger-Jahre-Mercedes hinter der Litfaßsäule hervor. Dieser Mercedes kommt indes nicht allein: Eine ganze Reihe von Fotos demonstriert die Parade dieses Paradeluxusobjekts; man und frau spiegeln sich in den blitzenden Stoßstangen; der Schwung des Kotflügels läuft in seiner Melone und ihren Kostümkragen aus.

Der Herr hat geheilt. Das kann die Ausstellung nachweisen. In einem zweiten Raum sind Fotos der Wiedervereinigungsfeiern zu sehen: Silvester am Brandenburger Tor beispielsweise, Kinder mit Leuchtkerzen, eine expressionistisch wirkende Nachtszenerie.

Fotos von nunmehr in die Mauer getriebenen Löchern hängen parallel zu Löcherbildern der Nachkriegszeit: Zwei Männer sitzen oben auf einer Bretterumzäunung, hinter der das berühmte Bombenloch klafft, ein Mann sitzt auf zwei über Kreuz gelegten Balken zwischen ihnen: Die ganze Ratlosigkeit und Offenheit des Berliner Schicksals liegt in ihrem abwartenden Sitz. Auf einem Foto von heute hat ein Grenzbeamter seinen Rücken an die Mauer gelehnt: eine korrespondierende, wenn auch entspanntere Passivität ist in das Oststadtbild zurückgekehrt.

Die letzten stolzen Blicke auf Fischers Fotografien sind die der Mercedesse, deren Nasen, aus Untersicht aufgenommen, noch als einziges in die Höhe ragen. Die Menschen blicken häufig ratlos über den Bildrand hinaus. Einschußlöcher in der Hauswand trennen das junge Paar vom alten, und doch sehen beide gleichermaßen verunsichert aus den Fenstern auf die Straße hinab. Nur in den hinteren Reihen der Menschenmengen ist gelegentlich noch einer mit geschwellter Brust zu erkennen: Er trägt das Adolfbärtchen unter der erhobenen Nase und hat sich den Orden an die linke Brusttasche gesteckt. Zuguterletzt ein Blick des Reichsadlers herunter von einer Hausmauer, der von einem kleinen Vogel im danebenliegenden Fenster kurzerhand als versteinert abgetan wird.

Fischers Ziel, so wird gesagt, sei es gewesen, die unspektakuläre Seite der Geschichte darzustellen. Man ist für die Alltagsethnographie der Nachkriegszeit dankbar, für die Kinder im Matrosenanzug, für den Jungen, der vor den Kriegsruinen mit einem Autoreifen spielt. Auch für Zeugnisse wie jenes Plakat mit dem Gesicht Walter Ulbrichts, das halb verwittert ist, und in das sich der Ziegel der Hausmauer vorschiebt: die Produktion, die die Machtfratze zerfrißt.

Zu plakativ dagegen erscheinen Fotos wie das mit der Aufschrift „Kämpft gegen Atomtod“ oder das, das eine Menschenkette in ihrer Händedruckfriedensgrußabsicht zeigt: Erst einem Nachgeborenen wird es vergönnt sein, sich an den Spuren des dann zurückliegenden Pathos wieder zu delektieren.

Noch herrscht eine vergleichbare Leere auf den Bildern der 50er Jahre und denen von heute. Die Aufnahmen aus dem Todesstreifen haben den gleichen Wüstenaspekt wie die der Nachkriegszeit. Sie werden als solche bald der Historie angehören und das Werk Arno Fischers zu einem abgerundeten machen, das durch einen weiteren Verlauf der Berliner Geschichte nur gestört werden kann.

Michaela Ott

Bis 30. Juni in der Galerie Vier; Öffnungszeiten: sa und di von 11 bis 14 Uhr, do von 17 bis 21 Uhr; Wilhelm-Pieck-Str. 25 (U-Bhf. Rosa-Luxemburg-Platz)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen