piwik no script img

Empfängnishilfe

„Dizzneyworld“ von The Dizzy Satellites und „7 Tage“ von Die Tanzenden Herzen  ■ B E R L I N E R P L A T T E N T I P S

Pop aus Deutschland? Kann es das geben? Ist nicht spätestens mit der Neuen deutschen Welle so ein Versuch für immer fehlgeschlagen? Denn was ist schon geblieben: eine „Fehlfarben„-LP, zwei Andreas-Dorau-Singles, vielleicht noch „Trio“. Oder will jemand ernsthaft behaupten, daß Philip Boa „Pop aus Deutschland“ macht? Versuche, an die inzwischen auch schon alten Traditionen anzuknüpfen, gibt es trotzdem noch.

Die echt Berliner Jungs „Die Tanzenden Herzen“ hießen früher einmal „Saturday Boys“ und glänzten vor allem mit Cover-Versionen von „The Jam“. Mit der Umbenennung, die einen „Fehlfarben„-Song zitiert, war das neue Konzept klar: deutsche Texte, Power-Pop mit leichten Funk-Einflüssen und markant herausgestoßener Gesang. Von da an tourten sie die Berliner Clubs rauf und runter und brachten es vor dieser LP immerhin auf zwei Singles. Und hier ist er wieder, der Versuch, und er haut wieder nicht hin, auch wenn das Scheitern höchst sympathisch verläuft.

„Warum sollten wir nicht unseren Anspruch recht hoch ansetzen? Fehlfarben war eine phantastische Band“, hören wir sie sagen und müssen ihnen leider mitteilen, daß sie den Vergleich mit ihren Vorbildern um ein paar Längen verlieren. Aber wenn man nicht so genau auf die Texte hört (was sich allerdings schwer vermeiden läßt und wohl auch nicht vermieden werden soll, weil ein Textblatt beigelegt ist), kann man zumindest feststellen, daß sie auf ihrem Weg zu den frühen Fehlfarben fast angekommen sind.

Waren auf ihren Singles die Bläser noch in den Vordergrund gemischt, ist die LP eher gitarrenlastig und vom Gesang dominiert, der klingt, als ob Rio Reiser versucht, wie Paul Weller zu singen. An die Shouter-Qualitäten von Peter Hein wagt sich Klaus Mertens klugerweise erst gar nicht heran, und auch die textliche Klasse des ersten „Fehlfarben„- und jetzigen „Family„Sängers erreicht er nicht. Nichtsdestotriotz wehrt er sich relativ erfolgreich gegen den Reimzwang, um ihm gelingen ein paar hübsche Zeilen: „Du bist jung und voller fixer Ideen / Ja, dein Kopf ist voller Illusionen / Das ist ganz schön / Das ist auch ganz schön / Solang‘ du noch jung bist / Wir haben alle von einer bess'ren Welt geträumt / Das gibt sich mit der Zeit.“ Da blasen die Bläser und gitarren die Gitarren, daß es eine wahre Früh-80er-Pracht ist und Mit der Zeit ist auch der beste Song der Platte, auch wenn man iznen die alte, kluge Abgeklärtheit kein bißchen abnimmt.

Natürlich hat die jugendlich wutentbrannte und hoffnungslos romantische Pose dieser Platte und das verkrampfte Festhalten am altmodischen Konzept, das Schwimmen gegen den Zeitgeiststrom unsere uneingeschränkte Sympathie, auch wenn man sich beim Hören eher an die guten alten Zeiten erinnert fühlt und Monarchie und Alltag seit Jahren das erste Mal wieder auflegt, um festzustellen, daß das wirklich guter Pop aus Deutschland war.

Die „Dizzy Satellites“ dagegen waren noch nie sympathisch. Kein Stück. Eine Kapelle, bei der man immer das Gefühl hatte, daß die nur Musik machen, um im Sexton langhaarige, auftoupierte Bräute abzuschleppen. Die „Ich bin übrigens Musiker. Willst du ficken?„-Attitüde ist zwar genauso überholt wie das Konzept der „Tanzenden Herzen“, aber leider äußerst zeitgemäß. Trotz ihrer extremen Ekelhaftigkeit muß man den „Dizzy Satellites“ bescheinigen, daß ihnen nach drei Jahren Pause und diversen Umbesetzungen eine wirklich gute Platte gelungen ist, die ich ihnen nie zugetraut hätte. Während die ersten beiden LPs Orbit Drive und Crisis in Utopia übelster Sixties-Garagen-Dröhn-Rock mit Schwanz aus der Hose waren, scheinen die Dizzy Satellites nach diesen drei Jahren zumindest etwas erwachsener geworden zu sein.

Und clever waren sie schon immer. Deshalb machen sie eine Platte, die die beginnenden 90er in postmoderner Vielfalt, aber nicht konzeptionslos, zusammenfaßt. Folkige Rhythmik und Byrds-Jingel-Jangel-Gitarren stehen neben hartem Heavy -Rock mit Killer-Gesang (You Don't Know (How Dumb You Are)) und schweren Garagen-Gitarren samt Onanie-Soli bei ausgiebigem Einsatz des WahWah-Pedals, allerdings ohne die bleierne Schwere der 70er wieder aufleben zu lassen. Manchmal schnippen sie mit den Fingern und werden fast swingend, eine Eigenschaft, die ich bei Menschen mit solchem Haupthaar nun wirklich nicht erwartet hätte.

Dizzneyworld (Music Maniac) ist eine wilde, absurde Mischung, die trotzdem nicht auseinanderfällt. Trotzdem gibt's nur Punkte für Cleverness, unsere Sympathie dagegen bleibt bei den „Tanzenden Herzen“, denn „Tanz mit dem Herzen oder tanz gar nicht!“

Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen