Keine Gnade für Susanne Albrecht

Generalbundesanwalt von Stahl fordert Härte gegen Susanne Albrecht / Weitere RAF-AussteigerInnen in der DDR vermutet / Albrecht-Ehemann mit Forschungsauftrag in Moskau / Eltern beauftragten Westberliner Anwalt Johannes Eisenberg mit der Verteidigung  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Die in der vergangenen Woche in Ost-Berlin verhaftete ehemalige RAF-Aktivistin Susanne Albrecht führte jahrelang ein kleinbürgerliches Leben. Am Wochenende verdichteten sich die Hinweise, daß die, vor allem im Zusammenhang mit der Ermordung des Frankfurter Bankiers Jürgen Ponto vor 13 Jahren, gesuchte ehemalige RAF -Angehörige nicht, wie vielfach spekuliert wurde, nahtlos von der RAF-Rolle in eine aktive Stasi-Karriere übernommen worden ist.

Nach Informationen des 'Spiegel‘ heiratete Susanne Albrecht bald nach ihrer DDR-Einbürgerung als „Ingrid Jäger“ einen Ostberliner Diplom-Physiker, der „lange Jahre nichts von der terroristischen Vergangenheit seiner Frau gewußt“ habe. Erst vor einiger Zeit, so der Albrecht-Ehemann habe sie sich ihm anvertraut.

In den letzten beiden Jahren lebte das Ehepaar mit ihrer 1983 geborenen Tochter in Moskau, wo der Physiker einen Forschungsauftrag der Akademie der Wissenschaften innehatte. Die Rückkehr stand, so der 'Spiegel‘, im Zusammenhang mit der bevorstehenden Einschulung der Tochter.

Der Nachfolger des kürzlich ausgeschiedenen Generalbundesanwalts Rebmann, Alexander von Stahl, hat inzwischen in mehreren Interviews zum Fall Albrecht keinen Zweifel daran gelassen, daß er die beinharte Haltung seines Amtsvorgängers gegenüber RAF-AussteigerInnen fortzusetzen gedenkt. Von Stahl lehnte es ab, über eine mögliche frühe Begnadigung Albrechts zu spekulieren.

Er sei „sicher, daß es eine angemessene Strafe geben“ werde. Wie bei anderen Straftätern sei er dafür, daß „man erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe oder - bei lebenslang - nach der im Gesetz vorgesehenen Frist von 15 Jahren über eine Begnadigung nachdenkt“.

Der Generalbundesanwalt geht im übrigen davon aus, daß Susanne Albrecht bald an die Bundesrepublik ausgeliefert wird. Ansonsten müsse ihr in der DDR der Prozeß gemacht werden. Daran könne Ost-Berlin nicht interessiert sein. Der DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, laut 'Spiegel‘ im Auftrag von Frau Albrechts Ehemann für die Inhaftierte tätig, hatte erklärt, eine Auslieferung seiner Mandantin sei keinesfalls sicher. Mit dieser Ansicht steht Vogel allerdings bislang allein. Die Auslieferung (offiziell wird von „Überstellung“ gesprochen, weil es zwischen DDR und BRD kein förmliches Auslieferungsabkommen gibt) wird in den kommenden vierzehn Tagen erwartet, spätestens jedoch nach der beabsichtigten allgemeinen Annullierung der DDR-Staatsbürgerschaft durch die DDR-Regierung.

Susanne Albrechts Eltern - ihr Vater ist der renommierte Hamburger Seerechtsanwalt und ehemalige CDU -Bürgerschaftsabgeordnete Hans-Christian Albrecht - haben den Berliner Anwalt Johannes Eisenberg mit der Vertretung ihrer Tochter beauftragt.

Ob und in welcher Form Beschwerde gegen den am vergangenen Donnerstag ergangenen Haftbefehl eingelegt werden soll, war gestern nicht zu erfahren. Die Frist für eine solche Intervention läuft nach einer Woche ab.

Während Ex-Generalbundesanwalt Rebmann der 'Bild am Sonntag‘ verriet, der entscheidende „konkrete Hinweis“ auf Susanne Albrecht gehe auf DDR-Übersiedler zurück, glaubt der 'Spiegel‘, daß ihr ein Stasi-Überläufer zum Verhängnis geworden sei. Nach seinem „entscheidenden Tip“ habe die Ostberliner Kripo in der Albrecht-Wohnung in der Trabantenvorstadt Marzahn Fingerabdrücke genommen, als die Familie noch in Moskau weilte. Damit sei die Identität von „Ingrid Jäger“ zweifelsfrei belegt gewesen.

Unterdessen gehen die Spekulationen über das Ausmaß der Verbindungen zwischen Stasi und RAF weiter. Allgemein halten die Sicherheitsbehörden es für wahrscheinlich, daß weitere ehemalige RAF-Mitglieder, insbesondere der sogenannten „zweiten Generation“ nach ihrem Ausstieg in der DDR mit einer neuen Identität ausgestattet wurden. Der 'Spiegel‘ nennt neben Silke Maier-Witt, die auch Rebmann mindestens vorübergehend in der DDR vermutete, Sigrid Sternebeck und Inge Viett. Silke Maier-Witt soll an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt gewesen sein, Sigrid Sternebeck am versuchten Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft (ebenfalls 1977) und Inge Viett an der Ermordung des Westberliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann (1974) und des damaligen Westberliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz (1975) durch die „Bewegung 2. Juni“.

In einer Polemik der RAF gegen den Abtrünnigen Peter-Jürgen Boock hieß es vor eineinhalb Jahren, daß „nach und nach acht aus der Gruppe weggehen wollten“. Für „die, die weggingen,“ erklärte die RAF, „suchten wir einen Zusammenhang, der mehr ist als sicheres Versteck, der vielmehr Leben und Perspektive wird“. Zwar wird die Passage im Sicherheitsapparat als möglicher Hinweis auf einen Deal mit der DDR gewertet. Daß auch aktive RAF-Kader über längere Zeiträume in der DDR Unterschlupf fanden, glaubt innerhalb des Apparats allerdings niemand. Nur die 'Frankfurter Rundschau‘ glaubt einen „westdeutschen Diplomaten“ zitieren zu müssen, der den Ursprung des „verquasten Tons vieler RAF -Schriften“ in der „Textwerkstatt des Erich Mielke“ vermutet.