: „Für den Tag Valium, für nachts das Beißholz“
■ 29jähriger Strafgefangener erlitt vor einem Jahr einen Schlaganfall und fühlt sich seitdem falsch behandelt / Weder er noch die Anwältin dürfen die Krankenakte einsehen / Staatsanwalt beschlagnahmte gestern die Akte, Arzt erhöht Valium-Dosis
Tegel. Die Kopfschmerzen von Thomas R., Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Tegel, werden manchmal so stark, daß ihm die verordneten Valium nichts nützen und er sich dann ein Beißholz zwischen seine Zähne klemmen muß, um nicht zu schreien. „Ich möchte quietschen vor Schmerzen, schäme mich aber“, erzählt er der taz.
Seit Juli letzten Jahres, in dem er einen Schlaganfall (Hirninfarkt) erlitt, werde er öfter ohnmächtig. Das letzte Mal verlor er die Besinnung in seiner Zelle am Montag vergangener Woche für ein paar Minuten, als er ein Buch las. Ein anderes Mal habe er zwanzig Minuten ohnmächtig im Duschraum gelegen. Der 29jährige hat Angst, irgendwann nicht wieder aufzuwachen. Als er letztes Jahr nach seinem Schlaganfall „erst Tage später“ ins Krankenhaus geliefert worden sei, habe einer der dortigen Ärzte zu ihm gesagt: „Herr R., Sie können froh sein, daß Sie das überlebt haben.“
Seit acht Jahren sitzt R. Er hatte, so berichtet er, zusammen mit zwei Komplizen in einem Büro in der Charlottenburger Fasanenstraße einen Mann ausrauben wollen. Während er unten im Kombi gewartet habe, seien die anderen „oben im Büro durchgeknallt“, als sich der Mann wehrte. Die beiden hätten den Mann darauf so schwer verletzt, daß er eine Woche später starb. Seine Haftstrafe, auch für Urkundenfälschung und Verkehrsdelikte, hätte R. 1992 abgesessen. Doch in einem Brief an die taz droht er an, daß er sich „im Juli“ das Leben nehmen werde, „weil ich nicht mehr kann“. Das Stechen in seinem Kopf sei seit Monaten so schmerzhaft wie „die Schmerzen bei einer Wurzelbehandlung eines Zahnes ohne Narkose“. Obwohl er von einem Anstaltsarzt zum anderen renne, helfe keiner, „weil sie nicht können oder nicht wollen“.
Aber auch R. wolle nicht, behauptet Ralf Grashof, Mitarbeiter der Vollzugsleitung. Als er damals aus dem Rudolf-Virchow-Krankenhaus ins Haftkrankenhaus zurückverlegt wurde, habe er „strikt abgelehnt, behandelt zu werden“. Und wegen der Ohnmachtsanfälle sei R. „mehrfach angeboten“ worden, in einen speziellen Haftraum verlegt zu werden, der besonders sorgfältig beobachtet wird. Doch R. habe immer wieder abgelehnt.
Anstaltsarzt Joachim Dymarek, der auf jede Frage erst einmal in R.s Krankenakte blättert, widerspricht R.s Behauptung, daß er nach dem Schlaganfall erst Tage später in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. R. sei eine Stunde später von einem Krankenwagen abgeholt worden.
Obwohl R.s Anwältin, Marion Grunow-Seidel, seit Januar die Krankenakte einsehen möchte, ist ihr dies von der Anstaltsleitung verwehrt worden. Auch das gewünschte Gespräch mit dem behandelnden Arzt wurde der Rechtsanwältin verwehrt. Weil im Tegeler Knast für ihren Mandanten „ärztliche Hilfe so gut wie gar nicht gewährleistet“ gewesen sei, hat sie den Anstaltsarzt und den Teilanstaltsleiter angezeigt: „Statt Betreuung erfährt mein Mandant Hohn und Spott von Mitgefangenen und Justizvollzugsbeamten. Was ihm geblieben ist, ist Valium für den Tag und sein Beißholz für die Nacht.“
Daß in der Krankenakte vermerkt ist, daß R. damals bereits nach einer Stunde ins Krankenhaus eingeliefert wurde, glaubt sie gerne. Denn, so die Rechtsanwältin, der Schlaganfall sei zuerst ja gar nicht nicht erkannt worden. Als er dann doch zwei Tage später - von einem Arzt diagnostiziert worden sei, sei R. bestimmt eilig ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Gestern nun war nicht nur der Staatsanwalt in seiner Zelle, berichtet R., und habe beim Anstaltsarzt die Krankenakte beschlagnahmt, sondern seit gestern wird auch R.s Dosis Valium erhöht, teilte Grashof der taz mit. Doch R. fühlt sich von den Anstaltsärzten bis heute nicht ernstgenommen: „Ich möchte nicht, daß man mir über den Kopf streichelt und ei, ei macht.“ R. will von einem Neurochirurgen untersucht werden. Der soll feststellen, ob ihm nicht doch durch eine Operation die Schmerzen in seinem Kopf genommen werden können und ob er aus medizinischer Sicht nicht von der Haft verschont werden müßte.
Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen