: Alltag der Soldaten
■ „Dann werden Sie schon schießen...“, Dokumentarfilm von Thomals Riedelsheimer, 23 Uhr, ZDF
Freunde“, erklingt die markige Stimme von Fahnenjunker Heinrich, „wenn Sie nicht in der Lage sind, eine Waffe zu handhaben, dann freuen sich die Leute auf der anderen Seite.“ Die Leute auf der anderen Seite - damit ist zweifellos ein imaginierter Feind gemeint, jetzt aber grast gegenüber nur eine friedlich gestimmte Horde Schafe. Vereinzelt blökt es, stören läßt sich das Wollvieh nicht von den im Gras liegenden Soldaten, auch wenn hier der Ernstfall geprobt wird. Drei Monate haben Thomas Riedelsheimer und seine vier Kameramänner den Alltag von Rekruten in der Grundausbildung beobachtet. Das Einrücken in die Kaserne, die unbeliebten Dauerläufe im blauen Drillich, aber auch das Zusammensetzen eines Sturmgewehrs - alles haben Riedelsheimer und sein Team notiert.
Und auch Vorgesetzte kommen zu Wort. Zum Beispiel Fahnenjunker Heinrich. Er ist unzufrieden mit seinen Mannen. Alles gehe ihm, dem Berufssoldaten, viel zu langsam. Aber wie es sich für einen Vorgesetzten gehört, erträgt er sein Schicksal nicht nur mit der gebotenen Tapferkeit, mehr noch, er weiß jedes seiner Worte in ein gewichtig-elaboriertes Sprachmäntelchen zu kleiden. All das, was da in 60 Minuten Film aus den Mündern der unterschiedlichsten Vorgesetzten fließt, wird stets im Duktus ungeheurer Wichtigkeit vorgetragen. Sei es die Anleitung, ein Hemd in der Größe eines Din A-4-Blattes zu falten oder die lapidar vorgetragene Erklärung, daß Weichkernmunition deshalb verboten sei, weil bei Geschoßaustritt „das halbe Kreuz fehlt“ - Nebensächliches oder gar Überflüssiges, erfährt der Zuschauer, gibt es, zumindest nach Meinung der Vorgesetzten bei der Bundeswehr, nicht.
Die Dramaturgie des Films ist eine Dramaturgie der Affirmation. Die Bilder, die Gespräche, nichts wird hier in Frage gestellt oder gar mit irgendetwas kontrastiert. Der Film zeigt, was passiert, läßt die Leute sagen, was sie sagen wollen. Riedelsheimer versenkt sich ganz in seinen Gegenstand, leuchtet ihn aus, in all seinen Ecken und Winkeln. Solange, bis sich schließlich die Ungeheuerlichkeit, um die es geht, im Gegenstand selbst verdichtet, ohne vom Autor hineinprojeziert worden zu sein. Im günstigsten Fall erfaßt den Zuschauer das blanke Entsetzen.
Ein kerniges Lied wird beim Marschieren intoniert: „Ich nahm sie mit aufs Zimmer, ja, das war ein Gewimmer und was wir da einmal, zweimal, dreimal, viermal gemacht, das war Berlin bei Nacht“, heißt es im Refrain, und die zumeist noch pickligen Gesichter feixen dabei verlegen. Ein Leichtes wäre es für den Film gewesen, angesichts derlei Liedguts die ominöse Affinität von sexuellen Allmachtsphantasien und militärischem Drill zu thematisieren. Doch Riedelsheimer überläßt die Verlängerung der Gedanken ins Abstrakte ganz dem Zuschauer, vertraut auf die eindeutige Wirkung seiner Bilder und Töne. Schade nur, daß ein solcher Film auf das Abstellgleis Spätprogramm geschoben wird anstatt den Zuschauergruppen zugänglich zu sein, die demnächst ebenso einzurücken haben, wie die Akteure aus Dann werden Sie schon schießen...
Friedrich Frey
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