Grundkurs Lebenslust

■ Schultheaterfestival: Behinderte spielen ein Märchen von Oskar Wilde

Eine Musik braust durch die Lautsprecher, sehr laut, sehr schrill, aus so geballter Lebenslust, daß es fast nicht zum Aushalten ist. Klarer Fall von Wolfgang Amadeus, finde ich, im Programm steht Vivaldi, egal. Die Musik tritt jedesmal mit dem Frühling auf, und jedesmal springt mit der Musik dieser Funken ins Publikum. Das klatscht lauthand, klatscht einen Rhythmus hinein, der da vorher nicht drin war. Auf den oberen Reihen der schülervollen Schlachthofbänke schaukelt einer beseeligt auf seiner Bank hin und her, für so einen muß einmal der Ausdruck „hin- und hergerissen“ erfunden worden sein.

Unten auf der Bühne wird derweil einer im Rollstuhl hereingeschoben, der tut nicht viel, der strahlt nur auf, wenn die Zuschauer ihn und die Musik empfangen, winkt manchmal mit seiner gekrümmten Hand. Hinter ihm kommen noch ein paar Kinder herein in bunten Kostümen, sie gehen, sie zeigen sich, ein paar Jungen springen mit Steckpferden um den Baum, auf dem, immer wenn Frühling wird, die Papierblumen blühen. Manchmal dreht sich ein Kind im Kreis, bringt den bunten Rock zum Schwingen, geht wieder.

Nicht viel? Sehr viel. Es ist zum Rotz- und Tränenheulen schön. Die Theatergruppe der Schule am Wandrahm spielt „Der Riese, der den Garten für sich allein haben wollte“ nach einem Märchen von Oscar Wilde. Der Riese hat gegen die Kinder eine Mauer aus Riesenklötzen quer über die Bühne gebaut. Auf dieser Seite verödet das Leben prompt und ganz. Auf der anderen Seite ziehen die Jahreszeiten ein, Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit dem Jungen im Rollstuhl und

den anderen hinter ihm, die gehen können, aber ebenfalls geistig behindert sind. Sie werfen Schneebälle aus Watte oder laufen zwischen den Papierblumen des Frühlings rum. Bei dem Riesen tut sich nichts, bis er selber beginnt, ein Loch in seine Mauer zu machen. Denn gegen die Lebenslust der behinderten Kinder ist kein Kraut und schon gar keine Mauer gewachsen.

Im Stück nicht, im „richtigen Leben“ im Schlachthof auch nicht. Daß diese behinderten Schau-SpielerInnen das können, was sie können, nämlich im wesentlichen da-sein, sich bewegen, mit ihren Aufzügen in der berauschenden Musik die Geschichte mit der Botschaft zusammensetzen, daß Leben eine Lust ist: das erzeugt wiedererkennenden Jubel unter den SchülerInnen auf den

Zuschauerbänken, bei den Behinderten besonders, aber nicht nur, der zündet wieder das Lachen des Rollstuhlfahrers auf der Bühne an. Und so hin und her.

Ein beflügelndes Fest, eine Unterrichtung der weniger Behinderten durch die mehr Behinderten über die Anfangsgründe der Lebenslust, alles durch ein paar Umzüge in liebevoll bebastelten bunten Kulissen mit diesem wunderbar schrillen Vivaldi, unglaublich, aber wahr.

Im letzten „Stern“ hat Uta König berichtet von den traurigen, bösen, ausgelöschten Wesen, die aus behinderten Kindern in Heimen der DDR wurden, mit denen man nicht langes „Theater“ gemacht hatte, sondern stille Euthanasie durch emotionales und geistiges Verhungernlassen. Da registrieren die Aufseher selber in

aller Unschuld und Ahnungslosigkeit wie behinderte Kinder nach wenigen Jahren völlig erlöschen. Die hatte man nur ein paar Jahre isoliert, in ihren Betten und Netzen festgebunden, nicht angefaßt, nur ernährt und ruhig gestellt. Und die, die man als Last und nur dies angesehen hatte, die waren es dann auch.

Uta Stolle

Programm heute: 10 -14 Uhr: Theaterworkshop für SpielleiterInnen: Teil 1 (Fortsetzung Donnerstag und Freitag).

10 - 18 Uhr: Diskussion: Fe

stivalkultur und Förderung des Schultheaters.

20 Uhr: „Stop and go“ aus Augsburg spielt „Nepal“ von Urs Widmer. Nach Nepal als Traum

ort, ohne Umweltbelastung und Überlebensangst fliehen zwei Menschen.