Mit dem Zellsorter gegen Diabetes

■ An der Universität Münster werden mit einer neuentwickelten Maschine die Langerhansschen Inseln eingefangen

Das Institut für Strahlenbiologie in Münster ist - gemessen an den großzügig angelegten Unikliniken - geradezu winzig und hat mit Diabetes mellitus Typ I per Definitionen eigentlich überhaupt gar nichts zu tun. Daß es anders gekommen ist, daß der Strahlenbiologe Prof.Dr.Wolfgang Göhde beizeiten von massenhaften Anrufen hilfesuchender Diabetiker überfallen worden ist, hängt mit einer von ihm entwickelten Maschine zusammen. Ein Zellsorter könnte in Zukunft ein Grundbaustein für eine Art der Diabetestherapie sein. Diabetiker mit dem Typ I (insulinabhängiger Diabetes) könnten von der täglichen Insulingabe per Spritze unabhängig gemacht werden.

Ein Zellsorter macht genau das, was sein Name vermuten läßt: Er sortiert mikroskopisch kleine Partikel. Leicht modifiziert, kann das schon seit Jahren serienmäßig hergestellte Gerät auch jene Teilchen aus dem Gewebsbrei herausfischen, die für Diabetiker besonders wichtig sind: die Langerhansschen Inseln. Jene Inseln, die „keine Zellen, sondern kleine Organe sind“, die - außer bei Diabetikern Insulin produzieren und sich in der Bauchspeicheldrüse befinden.

Die Idee ist ganz einfach und durchaus bekannt: Ein Diabetiker könnte im Prinzip geheilt werden, wenn es gelänge, ihm die kleinen Insulinfabriken einzupflanzen. Das würde eine ganze Menge schwerwiegender Folgen vermeiden. Der Diabetiker wäre unabhängig von der Insulinspritze, und er würde den Schäden entgehen, die vermutlich durch die ständigen Schwankungen des Insulin- und damit des Blutzuckerspiegels entstehen. Im Erfolgsfall blieben auch die Spätfolgen einer langen Diabetes aus: Nierenversagen, Gefäßerkrankungen, Erblindung.

Einpflanzen kann man die Inseln kompliziert und risikoreich durch die Transplantation der Bauchspeicheldrüse. Kompliziert und risikoreich ist dieses Verfahren, weil die Transplantation dieses Organs außerordentlich schwierig ist, Abstoßungsreaktionen des Immunsystems mit Sicherheit folgen, und weil die letztlich benötigten Langerhansschen Inseln nur ein bis zwei Prozent der Bauchspeicheldrüse ausmachen.

Besser wäre es also, nur die Langerhansschen Inseln zu übertragen. Das aber stößt auf erhebliche technische Probleme: „Für die Heilung eines Diabetikers braucht man 100.000 bis einige 100.000 Langerhansscher Inseln“, erläutert Göhde, und diese in relativ kurzer zeit aus einer Bauchspeicheldrüse zu gewinnen, ist so einfach nicht machbar. Mühsam, per Hand, werden sie gewonnen. Die Inseln werden mit einer speziellen Technik eingefärbt, damit man sie erkennen kann. „Dann kann man sie unter dem Mikroskop mit einer Pipette absaugen.“ Das Ergebnis ist mager: „Geschickte AssistentInnen gewinnen in ein, zwei Stunden so viele Langerhanssche Inseln, wie zur Behandlung einer Ratte nötig sind“, also etwa 600 bis 1.000 Stück.

Hier setzt der Zellsorter ein: Angeregt von zwei Oxforder Kollegen, bastelte Göhde das Gerät, das man sich wie einen Kanal mit einem Seitenarm vorstellen kann. Die Bauchspeicheldrüse wird mit Enzymen aufgespalten, also quasi zu Matschepampe gemacht. Das Ergebnis nennt man Homogenisat. Dieses Homogenisat wird durch den Kanal geleitet. An einer bestimmten Stelle sitzt ein lichtempfindliches Gerät, ein „Computerauge“, und registriert, welche der vorbeifließenden Teilchen rotgefärbt, also Langerhanssche Inseln sind. Ist eine Insel erkannt, wird dies vom Computer verarbeitet, und es tritt eine Piezo-Kristallsäule in Aktion: Die sendet eine kurze Druckwelle aus und stubst das Inselchen - die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen - somit in den Seitenarm, an dessen Ende ein Auffanggerät steht. Der Rest wandert auf der alten Spur weiter und landet im Müll.

Die faszinierende Möglichkeit, zu 90 Prozent reine Inseln einem Patienten zu implantieren oder gar ohne Operation perkutan, also mittels einer Hohlnadel duch die Haut in ein Aufnahmeorgan zu spritzen, ist allerdings vorerst noch Theorie. Meßbar erfolgreich ist die Sache bislang nur im Tierversuch. Bevor man die Methode risikolos bei Menschen anwenden kann, muß noch allerhand erforscht werden.

Wieviele Inseln müssen übertragen werden, damit es zu optimalen Ergebnissen kommt? Wie kann man die Immunabwehr vermindern? Welche Inseln - es gibt verschiedene - soll man bevorzugen, und wo pflanzt man sie am besten ein? Als Empfängerorgan kommt überraschenderweise weniger die Bauchspeicheldrüse des Kranken in Frage als vielmehr die Leber oder die Nierenkapsel.

Zu den nötigen Forschungen gibt es schon interessante Ansätze. Etwa sieht es so aus, daß die Langerhansschen Inseln die Immunabwehr weniger stimulieren, wenn sie vorher eine Zeit lang kultiviert worden sind, also in einer Nährlösung aufbewahrt wurden. Allerdings werden die Forschungen erschwert: Prof.Göhde, der kein Diabetologe ist, betreibt seine Untersuchungen mehr oder weniger „privat“: „In diesem Institut haben wir eine ganz andere Aufgabenstellung. Wir betreiben hier experimentelle Onkologie (Krebsforschung), und die Frage, wie Inseln zu sortieren sind, ist von außen an uns herangetragen worden. Wir haben das interessant gefunden und eingewilligt, das zu erproben. Auf diese Weise sind wir in das Fahrwasser hineingeraten.“

Und vermutlich deshalb erhält er auch keine öffentlichen Gelder, um die Forschung voranzutreiben. „Wir haben damals einen Antrag an das Bundesministerium für Forschung und Technologie gestellt und haben keine Gelder erhalten. Unsere Kollegen in England, die das mit uns betreiben, haben eine großzügige Förderung erfahren, haben also Personal und Geld in ausreichender Menge, um das voranzubringen.“ Die Universität Münster hat, so Göhde, sogar die Stelle des Kollegen gestrichen, der den Inselsorter betrieben hat. Der arbeitet jetzt in Stockholm.

Ralf Schaepe