piwik no script img

König des Absurden

■ Ein Gespräch mit Marcel Marceau über Stan Laurel, der am 16.Juni 100 Jahre alt geworden wäre

taz: Sie haben vor Jahren einmal formuliert, daß alle Pantomimen der Welt Stan Laurel sehr viel zu verdanken haben. Was speziell machte den Komiker Stan Laurel zum Maitre aller Pantomimen?

Marcel Marceau: Stan Laurel war nicht nur ein Schauspieler des Slapstick, er war außerdem ein echter Pantomime, von der Größe eines Chaplin. Aber von dem Zeitpunkt an, als er mit Babe Hardy zusammenarbeitete, hatten seine Filme nicht mehr die Tiefe, die Chaplins Filme auszeichnen. Ich persönlich glaube, daß er ein hervorragender Mime war. Er arbeitete in der selben Theatergruppe wie Chaplin und bewunderte ihn. Außerdem war er ein großartiger Mensch. Als Schauspieler war er gefühlvoll und poetisch, er hatte ein ausgeprägtes Gespür für das Absurde und Respekt vor dem Theater. Ich würde ihn gemeinsam mit Keaton und Chaplin an die Spitze aller Stummfilmschauspieler stellen. Sicherlich hätte er ohne Babe nicht der sein können, der er war, denn die beiden Charaktere lebten von der Polarisierung. Aber Stan war ein Mann, der kreativ war, ein Schöpfer.

Was denken Sie ist der Grund dafür, daß Chaplins Arbeiten von den Kritikern immer ernster genommen wurden als Laurels Werke?

Dem gesamten Szenario, den Drehbüchern von Chaplin lagen größere Themen zugrunde, wie in The Gold Rush, City Lights, Modern Times, Charlie as a Soldier oder auch The Kid. Er war eine Art Dickens, während Stan stets dem Stil der englischen Musichall treu blieb. Es gibt einige Filme wie zum Beispiel Fra Diavolo, mit denen Laurel und Hardy eine gewisse Resonanz erreichten, aber durch die Zusammenarbeit mit Babe konnte Stan nicht mehr wie früher eine romantische Figur verkörpern.

Chaplin hingegen trat als tragische, komische und romantische Figur auf, ähnlich wie Buster Keaton, der aber absurder war und einen moderneren romantischen Charakter verkörperte. Chaplin kann man eher als vioktorianisch bezeichnen - aber er war natürlich zeitlos. Ich denke, daß die Kritiker in einem Punkt recht hatten, wenn sie sagten, daß Chaplin die größere Wirkung ausübe. Aber von Kindern wurden Laurel und Hardy sehr viel mehr geliebt.

Sie sagten, daß Stan nie eine romantische Figur in seinen Filmen spielte. Alle seine Filme enden in einem anarchistischen Chaos, in totaler Destruktion. Was war der Grund?

Nun, die Music-hall-Charaktere waren wie die von Clowns. Sie brauchten die Katstrophe, sie mußten zu einem bestimmten Desaster hinführen, um Dinge gleichzeitig schlimm und komisch aussehen zu lassen, und sie mußten die Verlierer spielen. Wenn sie gesiegt hätten, wäre es nicht komisch gewesen. Ich glaube, daß dies eines der Gesetze des englischen Varietetheaters gewesen ist: getreten zu werden und zurückzutreten, auf witzige Weise zu versagen. In diesem Sinne waren Laurel und Hardy Könige des Absurden. Sie zeigten die menschliche Seite des Lebens genauso wie die tragische und komische. Und sie haben damit ein Gesetz aufgestellt: Wenn es keine Zerstörung gibt, dann kann die Komik sich nicht artikulieren. Komische Situationen benötigen immer einen Gegensatz, und diese Regel befolgte Laurel, wie auch Keaton und Chaplin - es ist ein generell gültiges Gesetz des Absurden und Tragikomischen im Leben.

In Chaplins Filmen stand immer das Sozialkritische im Vordergrund...

...ja, das stimmt. Chaplin verarbeite die Gesellschaftskritik in Modern Times, The Gold Rush oder auch City Lights, während Laurel und Hardy mehr die Gesellschaft an sich zeigten, ohne sich um eine gezielte kritische Bewertung zu kümmern. Sie wollten nicht an unsere menschliche Seite appellieren, sondern uns unterhalten. In Stan war auch eine tragische Figur angelegt, wesentlich stärker als in Babe, der mehr eine Art glättender Katalysator war.

Gibt es in Stans Filmen Elemente, von denen man auf die Privatperson Stan Laurel zurückschließen könnte?

Ich glaube nicht. In seinem Privatleben war Stan ein sehr glücklicher Mensch, sehr diszipliniert, sehr ernst, bonvivant, sehr aufrichtig und bescheiden - er war ein wirklicher Gentleman. Als ich in den sechziger Jahren in Amerika war, lud er mich sehr oft in sein Haus ein, Kaffee und Kuchen gab es dann, alles sehr einfach. Stan war nie verbittert, obwohl er nie das große Geld gemacht hatte. In den letzten Jahren seines Lebens besaß er nicht viel Geld, weil er zu der Zeit, als er seine Filme drehte, nie darüber nachgedacht hatte, einen Vertrag fürs Fernsehen abzuschließen. Laurel und Hardy sind buchstäblich ausgeraubt worden, es war geradezu widerwärtig. Stan war nicht der Geschäftsmann wie Chaplin, der sein eigener Produzent und Herr war. Laurel und Hardy waren überhaupt nie ihre eigenen Produzenten. Aber ich glaube, daß Stan nicht fürs Geld lebte, sondern in einem bestimmten Sinne eher für den Ruhm. Er war sehr glücklich, daß er jeden Tag bis zu 250 Briefe von Kindern bekam - bis zum Ende seines Lebens.

Wie haben Sie Stan Laurel kennengelernt?

Das erste Treffen, das ich mit Stan hatte, war im Jahr 1950. Ich spielte damals in einem Theater auf Champs-Elysees und gehörte zu einer jungen Truppe von Pantomimen, die gerade erst anfingen. Wir luden Stan zu unserer Show ein und er kam. So sind wir Freunde geworden. Wir haben uns in den sechziger Jahren bis zu seinem Tod immer wieder getroffen. Ich spielte damals jedes Jahr in Amerika. Ich kann mich noch erinnern, daß ich in den Red Skelton Shows auftrat und Stan sie sich anschaute, um anschließend seine Kritik zu äußern. Er sagte dann immer: „Weißt du, das hättest du anders machen sollen, und hier das...“ Ich war damals natürlich noch nicht perfekt. Aber er wußte, daß er einen Mann des Theaters vor sich hatte, während er ein Mann des Films war. Und er wußte auch, daß Theater und Film unterschiedlichen Gesetzen gehorchen und er hatte stets großen Respekt vor dem Theater. Das Gespräch führte

Burkhard Giese

lebte, sondern in einem bestimmten Sinne eher für den Ruhm. Er war sehr glücklich, daß er jeden Tag bis zu 250 Briefe von Kindern bekam - bis zum Ende seines Lebens.

Wie haben Sie Stan Laurel kennengelernt?

Das erste Treffen, das ich mit Stan hatte, war im Jahr 1950. Ich spielte damals in einem Theater auf Champs-Elysees und gehörte zu einer jungen Truppe von Pantomimen, die gerade erst anfingen. Wir luden Stan zu unserer Show ein und er kam. So sind wir Freunde geworden. Wir haben uns in den sechziger Jahren bis zu seinem Tod immer wieder getroffen. Ich spielte damals jedes Jahr in Amerika. Ich kann mich noch erinnern, daß ich in den Red Skelton Shows auftrat und Stan sie sich anschaute, um anschließend seine Kritik zu äußern. Er sagte dann immer: „Weißt du, das hättest du anders machen sollen, und hier das...“ Ich war damals natürlich noch nicht perfekt. Aber er wußte, daß er einen Mann des Theaters vor sich hatte, während er ein Mann des Films war. Und er wußte auch, daß Theater und Film unterschiedlichen Gesetzen gehorchen und er hatte stets großen Respekt vor dem Theater. Das Gespräch führte

Burkhard Giese

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen