: Last Picture Show im Dorfkino
■ Vorgestern lief der vorerst letzte Film in einem der letzten Dorfkinos der DDR
Pritzerbe an der Havel, nordöstlich Brandenburg, eine Stadt mit 1.250 Einwohnern. Wochenendhäuser, ein Zeltplatz - ein verschlafener, malerischer Ort. Das Gebäude in der Havelstraße ist heruntergekommen, der Putz abgebröckelt. Nur, wer dem Traktor folgt, der durch die Toreinfahrt fährt, bemerkt die kleinen, verschmutzten Schaukästen mit Filmplakaten.
Im ersten Stock findet sich eines der wenigen noch existierenden Dorfkinos, wie sie in der DDR lange, und häufig künstlich, am Leben gehalten wurden - eine Breitleinwand, die die dahinterliegende Bühne verdeckt, grünverschlissene Plastewandverkleidung, 128 ungepolsterte Klappsessel, und hinter dem mit Dachlatten zusammengezimmerten Projektionsverschlag zwei Kofferprojektoren mit Holzstativen (aber für Cinemascope ausgerüstet!), den klassischen, offenbar unverwüstlichen Projektoren aus der Zeit des ambulanten Landfilmdienstes der Nachkriegszeit.
Hier führt Helmut Kelisch, tagsüber Elektriker, seit 1966 nach Feierabend Filme vor. Schon als kleiner Junge saß er mit oft mehr als 300 Menschen auf Holzbänken und sah Die steinernde Blume, einen sowjetischen Märchenfilm, von dem er heute noch schwärmt. An Spitzentagen hatten sie fast 1.000 M Einnahmen. Später half er dem Vorführer, Herrn Lasz, der schon als Wandervorführer mit Pferd und Wagen unterwegs war. Lasz bildete ihn dann auch aus.
Seither verfolgen er und Frau Berkan, tagsüber die Briefträgerin des Ortes, ohnmächtig den Niedergang ihres Kinos. Sie hatten sogar schon stationäre Projektoren von der sowjetischen Armee... nun ja... organisiert, die mußten sie aber wieder zurückgeben. 1968 soll zum letzten Mal etwas renoviert worden sein...
Das alte Spiel vom Niedergang der DDR-Kinos: sind Gelder vorhanden, fehlt es an „Baukapazitäten“. Das Fernsehen setzte sich auch auf dem Zeltplatz durch, und allmälich wurde das Filmangebot immer schlechter. Immerhin, am 7. Juni spielten sie Der Freund meiner Freundin von Eric Rohmer
-vor sechs zahlenden Zuschauern.
Herr Kalisch und Frau Berkan sind ratlos, resigniert, verbittert. Ihr Traum vom Kino ist ausgeträumt. Über 600 Unterschriften haben sie gesammelt, die Stadt soll das Gebäude zurückkaufen und eine Kultureinrichtung daraus machen. Aber wer soll das bezahlen, in diesen Zeiten, die laufenden kommunalen Aufträge sind eh schon storniert. Frau Berkan bekommt feuchte Augen, als wir uns vor dem Kino unterhalten. Dann gibt sie sich einen Ruck und ruft dem erstbesten Passanten zu, er solle ins Kino kommen. „Ich habe doch unterschrieben.“ Aber was nützt ihr eine Unterschrift.
Am 12.Juni um 19.30 Uhr lief der vorerst letzte Film in Pritzerbe, Ich und Er von Doris Dörrie - ein westdeutscher Film.
Ede Dülfer
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