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Nichtraucherdebatte: Sängerkrieg im Landtag

■ Bürgerschaft diskutiert blauen Dunst in politischen Gremien / Wilhelm Busch schmettert grünen Antrag ab / Lehrer Lempel im Grab umgedreht

„Wo man raucht, da kannst Du ruhig harren, böse Menschen haben nie Zigarren“. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Wedige von der Schulenburg warf gestern schweres Geschütz in die Bürgerschaftsdebatte um ein Rauchverbot in den Gremien und Ausschüssen des Landtages. Verhandelt wurde ein Antrag des Grünen Martin Thomas, die Qualmerei in den Sitzungen per Landtagsbeschluß zu verbieten. Doch was als sachliche Auseinandersetzung über Nichtraucherschutz angesetzt war, wurde unter den Debattenbeiträgen der Fraktionen ein parlamentarischer Dichterwettbewerb, ein tosender Sängerkrieg der Heidehasen.

Von der Schulenburg hätte sich mit seinem vierhebigen, daktylischen Vierzeiler sicher nicht zufrieden gegeben, hätte er geahnt, mit welchen poetischen Waffen sich die VertreterInnen der konkurrierenden Fraktionen von FDP und SPD in die Debatte werfen würden. Für die Liberalen stieg Annelene von Schönfeldt in den Dichterring der Bürgerschaft und überraschte die Abgeordneten mit einer leicht überarbeiteten Version des Wilhelm Buschgesanges über Lehrer Lempel, die ihr zu einer geglückten Ode an den Grünen Antragsteller geriet: „Zu den ernsten Parlamentsgeschäften / lenkt er freudig seine Schritte / doch plötzlich weicht seine Zufriedenheit, und Entsetzen macht sich bei ihm breit. / Denn am Deputiertentisch sitzt ein Mann, / der zündet sich ein Pfeifchen an.„

Ehrenwert sei das Anliegen des Grünen, aber die Entscheidung nicht Sache des Parlaments.

Wer wollte der poetisch mehr

als begabten Parlamentarierin ein paar Holprigkeiten in der Metrik verübeln? Mit tosendem Beifall überschütteten die sichtlich be

wegten Abgeordneten die Vortragende, und man war gespannt, auf welche Karte die SPD-Vertreterin Anneliese Leinemann angesichts dieses ausgefeilten Vortrages setzen würde. Als sich die SPD-Dichterin zum Rednerpult begab, verstummte die Menge der eben noch frenetisch applaudierenden Abgeordneten und harrte gebannt der Dinge, die da kommen sollten.

Und auch Anneliese Leinemann verblüffte an diesem denkwürdigen Vormittag durch eine kombinierte Prosa- und Poetikleistung. „Ich habe“, teilte die Sozialdemokratin dem Grünen Antragsteller vor dem Parlamentsplenum mit, „ihren Antrag gelesen“. Das saß. Ehrenwert sei er, aber die Entscheidung nicht Sache des Parlaments, erklärte sie, und als sie dann auch noch ins Versmaß verfiel, war die Debatte entschieden. Schnörkellos zitierte sie den Lehrer Lempel im Original, und nach elf mitreißenden Versen waren die Parlamentarier von der Notwendigkeit einer Pfeife in Deputation und Ausschuß restlos überzeugt.

Gegen Wilhelm Busch kam Antragsteller Thomas natürlich nicht an. Seine Erfahrungen, daß sich Abgeordnete kurz vor Sitzungsbeginn in fensterlosen Räumen Zigarillos anzündeten, verblaßten angesichts der gereimten Pfeifenfreuden des großen Volksdichters. Mit einer 47:40:3 Mehrheit schmetterte die Bürgerschaft das Raucherverbot bei offiziellen Sitzungen ab. Eine parlamentari

sche Musterstunde war das, und die SchülerInnen der 10. Realschulklasse aus der Schule an der Lerchenstraße, die der Debatte von der Tribüne des Parlaments aus folgten, werden diese gemeinschaftskundliche Exkursion wohl nie vergesssen.

Dabei hätte eine genauere Analyse des Buschschen Werkes den Parlamentariern womöglich eine andere Entscheidung nähergelegt. Busch war, wie sich unschwer nachweisen läßt, tief beeinflußt vom Werk Schopenhauers, des Wahlfrankfurter Obergriesgrams, dessen Interpretation der Nikomachäischen Ethik des Aristoteles in dem Satz gipfelte: „Aller Genuß und alles Glück (ist) negativ, hingegen der Schmerz positiver Natur“. Möglicherweise hat Busch die Figur des pfeiferauchenden Lehrers als abschreckendes Beispiel eines Genußsüchtigen geschaffen, als Warnung vor dem ungezügelten Tabakkonsum, der später der Angriffspunkt der gezielt agierenden Terroristen Max und Moritz sein wird. Hätte Lehrer Lempel nicht geraucht, wäre das Spreng

stoffattentat auf ihn nicht gelungen, so lautet die historische Botschaft des Buschschen Werkes, vor der die Bremer ParlamentarierInnen ihre gestrige Entscheidung noch einmal überdenken sollten.

Doch die Hermeneutik war gestern nicht die Stärke der Abgeordneten, die dem Antragsteller unter die Nase hielten, daß er auf rauschenden Festen in verrauchten Katakomben gesehen worden sei. „Unglaubwürdig“ sei deshalb Thomas Anliegen des Nichtraucherschutzes. Der Grüne, der sich auf eine politische Debatte vorbereitet hatte, zeigte sich angesichts der Parlamentspoetik überrascht. Nur Dichterfürst Goethe hätte dem Abgeordneten noch helfen können. In seinen Venizianischen Epigrammen versteckte der Dichter politisch hochbrisanten Zündstoff: „Vieles kann ich ertragen, die meisten beschwerlichen Dinge duld ich mit ruhigem Mut, wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider, vier: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und ...“ Markus Daschne

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