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LUXUS DER HERRSCHENDEN

■ Das Friseurmuseum in der Husemannstraße

Geschichte setzt sich im Friseurmuseum in der Husemannstraße 12 aus Geschichten zusammen. Wo im Museums für Verkehr und Technik die ausgestellten Exponate Produktions- und Sozialgeschichte illustrieren sollen, die Ausstellung didaktisch ausgefeilt ist, wo Wert gelegt wird auf die Vermittlung eines bestimmten Wissens, stehen in der friseurgeschichtlichen Sammlung der Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Friseurhandwerks am Prenzlauer Berg zunächst die Dinge im Mittelpunkt.

Der Aufbau ist chronologisch. Am Anfang stehen Kämme, Flacons, Spiegel aus der klassischen Antike; man sieht den „Luxus der herrschenden Schichten“. Die antiken Spiegel sind stumpf; nicht weil sie nicht geputzt wären, sondern weil der klare Spiegel eine neuzeitliche Erfindung darstellt. Das antike Spiegelbild war dunkel und verzerrt.

Während im Westen Geschichte dokumentiert wird, erscheint sie im Friseurmuseum in der versponnenen Aura ihrer Vergänglichkeit. Wer mag vor ein paar tausend Jahren in den Spiegel geschaut, wer den Meisterbrief von 1783 erhalten haben, wer wehrte sich mit Flohfallen gegen zwickendes Ungeziefer? Fürchtete sich der Behandelte vor den Klistierspritzen, riesigen Ungetümen, die mit warmen Wasser den Darm spülen sollten? Das erste Exponat, das für die Sammlung erworben wurde, ist ein Haarbild. Nachdem die Zeit der Perückenmacher zu Ende gegangen War - die preußischen Perücken kosteten umgerechnet um 10.000 Mark und waren eine der wichtigsten Einnahmequelle - nachdem die alten Zöpfe also abgeschnitten waren, machten sich einige daran, aus Haaren Schmuck und Bilder zu verfertigen. „Diese Haarblumen sind von den Haaren meines Vaters und meiner Mutter so wie von meinem Bruder Johannes, von mir und meinen Schwestern Emma und Claire unter der Leitung der Madamme Tietz gefertigt von Aldelaide Zimmermann. Fürstenwald im Jahre nach Christi Geburt 1850“, steht unter einem jetzt besonders raffiniert morbid erscheinenden Kunstwerk. Drei komplette Friseurläden erinnern an die zwanziger und dreißiger Jahre, und irgendwo liegt noch ein wenig Haupthaar von Bismarck. Eine Badestube aus dem Mittelalter und eine Perückenwerkstatt sind nur „nachempfunden“, wie es bescheiden auf einer Tafel heißt.

Das Museum erinnert wie kaum ein anderes an die Kinderträume alter Rumpelkammern, gerade vielleicht weil nicht allzuviel auf Tafeln erklärt wird, weil soviele merkwürdige Geräte sich finden, deren Sinn und Zweck verborgen bleibt, bis der Museumsführer für Aufklärung sorgt: „Das ist die kleinste Haarschneidemaschine der Welt. Sie diente zum Schneiden der Nasenhaare. Und das sind unsere Erfindungen, berichtet er lächelnd und zeigt die Dinge: den zahnlosen Kamm für Glatzköpfige, die Synchronschere für Links- und Rechtshänder, die keine Schneide hat und anderes.

Es finden sich Raritäten, Kuriositäten, Geräte, die nie funktioniert haben und denen schon einmal eine eigene Ausstellung gewidmet war; man entdeckt verspielte Kleinigkeiten wie die Zinnfiguren, die verschiedene Szenen rund ums Haar nachstellen. Unterschriften sind knapp: „Oppositionelle Studenten verbrennen 1832 den Zopf, das Korsett, die Militärordnung und den Korporalstock.“

Am Rande haben die Ausstellungsmacher kleine Scherze versteckt: zum Beispiel eine Maus, die unter einem Schrank einer dem Mittelalter nachempfunden Badestube hervorlugt. Es finden sich mechanische Föne („das war der Grund, weswegen die Friseure immer so kräftige Handgelenke hatten“), mechanische Haarschneidemaschinen als „Vorläufer moderner Rasenmäher“, Rasierklingenschärfer in Form der Guillotine; Flacons aus der SU als Kremltürme; Schnurrbartbinden.

„Der Medizinmann von Sumatra war nicht nur Spezialist für Behandlung von Pfeilschußverletzungen, er war nicht nur Geburtenhelfer, sondern hat auch rasiert“, weiß der Museumsmann, oder daß in Japan ein blau-rotes Band Innungszeichen der Friseure war. Das stand für arterielles und venöses Blut, denn der Friseur nahm früher bekanntlich auch Blut ab.

Wenn der Museumsführer und gleichzeitig Sammlungskonservator des Ein-Mann-Betriebs im 19.Jahrhundert Bader gewesen wäre und damit auch Zahnbrecher, hätte er, wie auf dem ausgestellten Ölbild, seinem Patienten auf den Rücken klettern müssen, um ihn festzuhalten. Ärgerlich und furchtsam verzerrt ist das Gesicht des Umklammerten. Der Holzhammer, so erzählt der Konservator, diente nicht zur Narkose, sondern dazu, einen Gegenschmerz hervorzurufen, der den Patienten ablenken sollte. Bevor der Bader Zähne zog, haute er nicht auf den Kopf, sondern oft aufs Hühnerauge des vom Zahnweh Geplagten.

Am Anfang des Friseurmuseums stand „der Wunsch, ein Schaufenster zu gestalten (...) Einige ausgewählte Gegenstände sollten die Entwicklung dieses Berufs (...) anschaulich machen. Damit begann der Aufbau einer Sammlung, die alles vereint, was mit dem Friseurhandwerk im engeren und im weiteren Sinne zu tun hat.“ Kaum ein Fünftel der insgeamt 13.000 Objekte sind ausgestellt. Der Rest wartet wie in jedem guten Museum im Keller auf größere Räume. Das Museum, das keine staatliche Unterstützung erhält, wurde vom Geschäftsleiter der Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Friseurhandwerks in Berlin initiiert. Drei Jahrzehnte lang sammelte er Exponate. 1962 wurden sie der ELG übereignet, dessen Vorstand die weitere Entfaltung des Unternehmens förderte. Erst 1984 „entschied der Rat des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg, dem Museum geeignetere Räume zu verschaffen.“ Die findet man nun in der Husemannstraße 12.

Detlef Kuhlbrodt

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