: Schneller Blick ins Wohnzimmer
■ Das Verwaltungsgericht wies eine Klage gegen den S-Bahn-Bau nach Mahlow zurück / AnwohnerInnen der S-Bahn-Strecke fürchten Lärm und haben Angst vor entgleisenden S-Bahnen
Lichtenrade. Noch in diesem Jahr will der Senat die S-Bahn -Strecke von Lichtenrade nach Mahlow wieder in Betrieb nehmen. Wer künftig die Metropole Berlin in Richtung Süden verläßt, wird kurz hinter dem S-Bahnhof Lichtenrade einen schnellen Blick in die intimsten Wohnbereiche der Familie Sch. werfen können. Drei Meter neben den Gleisen steht das 1983 errichtete Haus mit Glasfront, weiland vom Hausherrn so entworfen und von der Bauaufsicht genehmigt, um den Blick auf das Wäldchen auf der ehemaligen Trasse genießen zu können.
Gestern unterlagen Familie Sch. und andere Kläger einer Bürgerinitiative aus der Petkusser Straße vor dem Verwaltungsgericht gegen das Land Berlin. Sie wollten mit einer einstweiligen Anordnung erreichen, daß die S-Bahn erst nach einem förmlichen Planfeststellungsverfahren in Betrieb genommen wird. Danach müßten die Interessen der Anwohner wie Lärmschutz oder die Angst vor Entgleisungen berücksichtigt werden. Die Kläger hatten eine Bauweise in tiefer gelegener „Trogbauweise“ vorgeschlagen. Das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter von Feldmann schloß sich aber der Argumentation der Senatsverwaltungen an, die mit dem Reichsbahngesetz von 1939 argumentierten. Danach machen nur „neue bzw. Veränderungen bestehender Anlagen“ ein Planfeststellungsverfahren erforderlich. Zwar konnten sich bei einem Ortstermin alle Beteiligten davon überzeugen, daß von den Gleisanlagen nichts Verwertbares mehr vorhanden ist, dennoch gilt die Wiederherstellung nicht als Neubau.
„Die Lärmfrage stellt sich für die Behörde nicht“, so deren Anwalt. Diese Ignoranz der Bürgerinteressen findet der BI -Sprecher Jokisch „gelinde gesagt, befremdlich“. Den Anwohnern droht nicht nur die S-Bahn im 20-Minuten-Takt, sondern in Zukunft auch noch die Fernbahnstrecke. Je zwei S -Bahn- und Fernbahngeleise werden das Wohnen in den zum großen Teil aus Holz erbauten Häusern unerträglich machen. Sie wollen deshalb in einem Hauptverfahren „notfalls bis zum Bundesgerichtshof“ weiterklagen. Es sei ein Unding, so ihr Rechtsvertreter Borg, daß zwar ein neues Immissionsschutzgesetz ab September 1990 Bürgern theoretisch Schutz vor Behördenplanungen biete, faktisch aber monarchistische Eisenbahnplanungen aus dem Jahre 1872 weitreichendere Gültigkeit besäßen.
Sigrid Bellack
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