: Things to come
■ Die Fußball-WM in Italien zeigt die Möglichkeiten der modernen TV-Technologie
Kameras und Computer kennen keine Gnade: Maradonas schmerzverzerrtes Gesicht wird als Theater entlarvt, Völlers ominöse Beihilfe zum Torschuß Brehmes bis ins Fußspitzen -Detail analysiert. Noch Zukunftsmusik. Aber schon jetzt erfährt der Fußballfan, wieviel Kilopond van Basten hinter seinen Torschuß setzt, wie hoch Klinsmann wirklich springt oder mit welcher Geschwindigkeit der Schiedsrichter über den Platz trabt.
Italiens Fernsehen probt bereits jetzt die Zukunft: Der kombinierte Einsatz einer Rekordzahl von Kameras, Computern und allerlei technischem Wundergerät läßt das „gläserne Fußballspiel“ näher rücken. Bald wird es kaum noch Strittiges mehr im Fußball geben, unerbittlich zerlegt die Technik Spielverlauf und Einzelaktionen in Details und Tabellen.
Fernsehzuschauer in aller Welt staunen in diesen Tagen über die Blitz-Analysen während der WM in Italien. Die Statistiken über Fouls, Torschüsse, Rückpässe, gewonnene und verlorene Zweikämpfe, die effektive Spielzeit oder die Zeit, wie lange eine Elf am Ball war, gehören schon heute zum Repertoire von „Fernsehen total“. Der für die WM-Regie des staatlichen RAI-Fernsehens verantwortliche Giancarlo Tomasetti meinte stolz, Italien sei heute weltweit in der elektronischen Analyse führend.
„Niemand ist so weit wie wir im Gebrauch von Mischpult, Telebeam und anderem raffiniertem Gerät“, so Tomasetti. Telebeam - täglich während der WM auf italienischen Bildschirmen zu sehen - bringt „traumhafte Tore“ auf den Boden der Tatsachen: wie weit, wie schnell und mit welcher Krümmung fand das Leder ins Netz. Tomasetti spricht von einer „wahren technischen Evolution“. Das Wunderding CPA (Current Play Analysis) kann binnen Sekunden nach dem Spiel feststellten, wer den Ball am längsten hielt, wer am meisten den Raum deckte, wer der schnellste war und wer am meisten lief. Computer analysierten bereits blitzschnell, ob ein Schuß für den Torhüter nun haltbar war oder nicht - die Bogenlampe des belgischen Spielers Degryse zum 1:0 gegen Südkorea war erstaunliche 43 Stundenkilometer schnell.
Über 400 Milliarden Lire (rund 560 Millionen Mark) investierte die RAI in moderne Fernsehtechnik und ein ein neues WM-Fernsehzentrum. In den Stadien verfolgen jeweils elf Kameras das Geschehen auf dem grünen Rasen - nach der Zwischenrunde sollen es sogar 16 Kameras werden. Jeweils vier „slow-motion„-Maschinen ermöglichen die Zeitlupen -Kontrolle des Geschehens aus verschiedenen Perspektiven. Richtmikrofone eröffnen ungeahnte Möglichkeiten, verborgene Dialoge auf dem Spielfeld zu belauschen. „Noch nie wurde das Geschehen auf dem Platz so perfekt erfaßt wie bei dieser WM“, betonte Tommasetti.
Der FIFA allerdings ging der Totalitäts-Anspruch der Technik zu weit: Kameras in den Tor-Pfostenn wurden verboten. Ebenso eine von den Italienern vorgeschlagene Spezialpfeife des Schiedsrichter, auf den auch die Fernsehtechnik reagieren könnte. Mit der automatisch ausgelösten Zeitlupe, beispielweise.
Schon jetzt aber ist absehbar, daß Computeranalysen messerscharfer Bilder in der Lage sind, festzustellen, ob ein Spieler sich verletzt hat oder nur simliert. Über das Bild, über Raster und Wärme-Analysen. „Die Einsatzmöglichkeiten von Bild und Ton sind mittlerweile derart extrem, daß einzelne Aspekte bereits stilisert wirken und drohen sich von der Realität des Fußballs zu entfernen“, meinte DFB-Präsident Hermann Neuberger inzwischen sorgenvoll.
Den größten Genuß am Fußballgeschehen im Fernsehen haben aber aus technischer Sicht nicht die Fans in den Fußball -Hochburgen, sondern im technologie-besessenen Japan. Einige Tausend Japaner sehen, was die über 17 Milliarden anderen TV -Zuschauer der ingsesamt 52 WM-Spiele nicht können. Fußball über „High-Defintion-Technik“ mit einer Bild-Auflösung von 1.125 statt der weltweit üblichen 625 Bildzeilen.
dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen