: Schweigen über den Stasi-Staat?
■ Zu einem taz-internen Konflikt: Der schwere Abschied von der Utopie einer besseren Gesellschaft und die drückend lange Adressenliste der Stasi-Gesellschaft / Von einem, der seit zehn Jahren für die (West-)taz arbeitet
Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm, und die taz hat sich freiwillig mittenrein begeben. Zwei Staaten, die sich 40 Jahre lang gegenseitig mit ihren Feindbildern stabilisiert haben, und zwei Gesellschaften, die sich diesseits und jenseits der Mauer entwickelt haben, müssen Abschied von ihren jeweiligen identitätsstiftenden Bewegungsmomenten nehmen. Eine Linke-Ost und eine Linke-West stehen vor den Trümmerhaufen ihrer Hoffnungen. In Berlin hat der Abriß der Mauer, dieses häßlichen, menschenverachtenden Symbols des Eisernen Vorhangs, begonnen. Was machen wir mit den Mauern in unseren Köpfen?
Die taz-Zentralredaktion in der Kochstraße trennen gerade 100 Meter von der Mauer. Die taz hat im Februar im Ostteil der Stadt - 400 Meter weiter - die Gründung eines Verlages betrieben und bringt seitdem eine DDR-Ausgabe heraus - zu 80% identisch mit der West-Ausgabe. Die taz ist die einzige Tageszeitung, die sich mitten in den Strudel der deutsch -deutschen Geschichte hineinbegeben hat. Tagtäglich wird parallel produziert, v. a. Aufmacher-Seite eins und DDR -Seite vier unterscheiden sich.
Krach um Stasi-Adressen
Wir haben uns den deutsch-deutschen Streit ins Haus geholt, wir wollten das so, denn eine lebendige Zeitung braucht den internen Streit. An der Frage, ob die Adressen ehemaliger Stasi-Objekte veröffentlicht werden dürfen, droht er zur Zerreißprobe zu führen - ein dummer Zufall? Auffällig ist, daß die Enthüllungen zur Staatssicherheit fast ausschließlich von West-Journalisten geleistet wurden oder von solchen Kollegen, die aus den Kreisen der „Dissidenten“ stammen und aus der Honecker-DDR ausgebürgert wurden. Das war auch in der taz so. Insofern ist es kein einfacher West -Ost-Konflikt, der jetzt taz-intern ausgetragen wird. Schon früh wurde auch taz-intern von den neuen KollegInnen mit DDR -Paß die Ansicht vertreten, das Thema Staatssicherheit interessiere in der DDR niemanden mehr.
Das ist fatalerweise nicht ganz falsch. Die Gesellschaft ist jahrzentelang so sehr von den Kontroll-Instanzen durchsetzt gewesen, daß kaum vorstellbar ist, wie sie anders als durch Verdrängung mit diesem Strang ihrer Geschichte fertigwerden soll. Und - da gibt es leider Parallelen zur Art und Weise der Verdrängung der Nazi-Mitläufer nach 1945 jeder kannte doch einen guten Zuträger der Staatssicherheit, hatte einen Onkel und so weiter. Und jeder, der zehn, zwanzig Jahre lang an verantwortlicher Stelle in dieser Gesellschaft gelebt hat, weiß im Grunde viel zu viel von den Verstrickungen, um nicht vor dem Anspruch der Enthüllung zurückzuschrecken. Das eint die PDS mit der DSU.
Das Ausmaß des Netzes, mit dem die Staatssicherheit die Gesellschaft im Griff hatte, droht auch eine Legende zu zerstören, an der alle diejenigen hängen, die nicht völlig mit diesem „sozialistischen“ Experiment brechen wollen: daß nämlich einmal eine Utopie am Anfang gestanden hat, die leider pervertiert, durch politische Fehler und weltpolitische Rahmenbedingungen scheitern mußte.
Jeder, der sich Jahre seines Lebens mehr oder weniger gebrochen für das Honecker-Regime und seine Reform engagiert hat, muß dazu neigen, so zu denken. Das Ausmaß der Unterdrückung, das von Anfang an Pate dieser „Utopie“ stand, blamiert ein solches Denken, verlangt Umdenken, stellt die eigene Biografie in Frage. (Das gilt übrigens genauso für die West-Linken, die plötzlich entdecken, wie tiefgreifend mit dem DDR-Sozialismus auch ihre Utopien gescheitert sind: wie einiges, was sie für grundsätzlich gut gehalten haben, sich nun als Element dieser in sich zusammenbrechenden DDR -Gesellschaft entpuppt.)
Die Kontroverse, welche Bedeutung der Enthüllung der Stasi -Struktur zukommt, hat also einen politischen Kern. Daß es durch die Veröffentlichung der Anschriften, wo vor Monaten die Stasi gearbeitet hat, zu Gewaltreaktionen kommen könnte, ist m.E. ein hochgespieltes Argument. Seit Monaten sind in jedem Ort solche Anschriften bekannt, auch übrigens einzelne Mitarbeiter des MfS. Die Veröffentlichung der Gesamtliste der Anschriften schafft da nicht Gelegenheiten, die früher nicht schon existiert hätten.
Die Veröffentlichung der Gesamtliste ist aber ein Beitrag gegen den Verdrängungsprozeß, der im Gange ist. Das ist ein Essential des journalistischen Selbstverständnisses der taz. Und das ist unteilbar.
taz-DDR autonom?
Daß die taz in der DDR in einem anderen Verlag erscheint als in West-Berlin (und in Frankfurt übrigens in einem dritten), hat juristische Gründe. Die KollegInnen, die bei dem neuen Anbau-Verlag 'die tageszeitung‘ anfingen zu arbeiten, haben sich auch dafür entschieden, nicht eine eigene neue Zeitung zu gründen, nicht die 'Junge Welt‘ flott zu machen oder die 'BZA‘, sondern die West-Zeitung taz mit deren Image und deren Selbstverständnis für die DDR zu produzieren - in der Vorstellung, daß die LeserInnen beides wollen, ein bißchen West-Zeitung und ein bißchen DDR-Identität und vor allem die taz. Und ein bißchen Streit um diese explosive Mischung.
Daß die taz nicht mit einem reinen West-Produkt auf den DDR -Markt ging, sondern in der DDR neue KollegInnen suchte, hatte gute journalistische Gründe: Es sollte nicht die Splittung des Zeitungs-Projektes taz eingeleitet, sondern die redaktionelle Kompetenz ergänzt werden.
Wir wollten uns in den Streit hineinbegeben, aber nicht das journalistische Selbstverständnis der taz aufgeben.
Klaus Wolschner
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