: Die lange Intifada der Frauen
In den Jahrzehnten der Vertreibung und Besatzung und des Widerstands hat sich die Rolle der Frauen in der palästinensischen Gesellschaft nachhaltig gewandelt / Bessere Bildungschancen, neue Frauenorganisationen / Bedroht nun der islamische Fundamentalismus die erkämpften Freiheiten? ■ Von Ebba Augustin
Zwanzig Jahre israelische Besatzung hatten die palästinensische Gesellschaft in West-Bank, Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem längst verändert, bevor im Dezember 1987 die Intifada begann. Die wirtschaftliche Integration der besetzten Gebiete erfolgte, nach Maßgabe der israelischen Interessen, direkt nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges. Eine massenhafte Migration palästinensischer Arbeitskräfte begann. Bis zum Ausbruch der Intifada pendelte täglich fast die Hälfte aller Arbeitskräfte der besetzten Gebiete zur legalen oder illegalen Beschäftigung nach Israel - darunter auch viele Frauen.
Anfangs führte das in den besetzten Gebieten zur Verringerung der Arbeitslosigkeit und zu einem deutlichen Anstieg des Lebensstandards. Allerdings machte die schwindelerregende Inflation des israelischen Schekel diese Vorteile bald zunichte. Die langfristigen Auswirkungen der Politik der israelischen Militärverwaltung waren anderer Art: De-Industrialisierung der Gebiete, Niedergang der heimischen Landwirtschaft, Proletarisierung der Flüchtlinge und eines großen Teils der Landbevölkerung.
Dieser Prozeß veränderte auch die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und die Struktur der palästinensischen Großfamilie. Daß die Mitglieder der Familien oft räumlich weit verstreut leben und arbeiten, hat vor allem den jungen Frauen mehr Eigenverantwortung und größere Unabhängigkeit von der Familie ihres Mannes gebracht. In der West-Bank widmeten sich die Frauen verstärkt der „Nebenerwerbs„-Landwirtschaft -in Palästina traditionell Frauenarbeit - aber die Flüchtlingsfrauen im Gaza-Streifen wurden bald zu einer Reservearmee von Heimarbeiterinnen. Verborgen in den Häusern (oder in weitabgelegenen Fabriken) arbeiten die Frauen, die gezwungen sind, ihre Familie zu ernähren: Witwen, unverheiratete und geschiedene Frauen. Bis heute gilt Frauenarbeit außerhalb des Haushalts oder der Landwirtschaft als eine Schande. In den letzten zehn Jahren haben sich Frauen in der Gewerkschaftsbewegung engagiert und viele Rechte und Freiheiten erstritten, aber die Ausbeutung vor allem der Heimarbeiterinnen haben sie nicht beenden können.
Seit Beginn der Besatzung waren die Frauen in der West-Bank und im Gaza-Streifen von gegensätzlichen Tendenzen in der Bevölkerung dieser Gebiete betroffen. Zum einen gab es, als Reaktion auf die Militärherrschaft, eine Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Tradition. Gerade die Frauen galten als Hüterinnen dieses nationalen Erbes und hatten sich daher seit 1967 den Normen und Werten weit mehr zu fügen als noch unter der ägyptischen oder jordanischen Herrschaft. Andererseits wurden die besetzten Gebiete seit dem Zusammenbruch der arabischen Armeen im Juni-Krieg und der Vertreibung der Palästinenser aus Jordanien im „schwarzen September“ 1970 immer mehr zum Zentrum des palästinensischen nationalen Befreiungskampfs. Im Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik formierte sich die nationale politische Elite der Palästinenser in den besetzten Gebieten, fand einen nationalen Konsens und begann mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur.
An diesen Prozessen hatten auch die Frauen aktiven Anteil, ihre Situation wurde durch die Dynamik der Volksbewegung nachhaltig verändert. Zwischen 1975 und 1981 entstanden sechs palästinensische Universitäten und Colleges, das bedeutete verbesserte Bildungschancen auch für die Mädchen und Frauen. Die Bildung ist schon seit 1948 die einzige dauerhafte „Investitionsmöglichkeit“ für die Palästinenser. Traditionell wird zuerst die Ausbildung der Söhne, der künftigen Ernährer der Familie, finanziert. Seit der Gründung der lokalen Universitäten konnten erstmals auch Frauen studieren, ohne das Land (und damit die Aufsicht der Familie) zu verlassen. Bis zum Beginn der Intifada, als die israelischen Militärbehörden die Schließung der Universitäten verfügten, waren die Studentenzahlen kontinuierlich gestiegen, zuletzt studierten ebenso viele Frauen wie Männer. Die gesellschaftlichen Einstellungen zum Wert der Bildung für Frauen wandelten sich: Die Familien begannen, größeren Wert auf die Ausbildung ihrer Töchter zu legen, Schul- und Universitätsbildung galten nicht mehr als Hindernis bei der Eheschließung - im Gegenteil. Damit gewannen die Frauen Bewegungsfreiheit, erweiterten ihren Aktionsradius in der Gesellschaft. Die Mädchen nahmen an der Schüler- und Studentenbewegung teil und erwarben Fähigkeiten, die ihnen die traditionelle, patriarchalische Gesellschaft bis dahin verweigert hatte.
An den Universitäten nahm Mitte der 70er Jahre auch die neue politische Frauenbewegung ihren Anfang, die sich die wirtschaftliche und soziale Befreiung der Frauen auf die Fahnen geschrieben hatte. Von Anfang an gehörte zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit auch die Mobilisierung von Frauen aus allen Schichten für den Befreiungskampf. Damit wurden erstmals auch die Frauen in den Dörfern und Lagern in die politische Bewegung einbezogen. Durch diese Basisarbeit hat die neue Frauenbewegung, gemeinsam mit den Aktivistinnen der Gewerkschafts- und Studentenbewegung und der medizinischen und landwirtschaftlichen „Hilfskomitees“, entscheidend dazu beigetragen, die Stellung der Frau in der palästinensischen Gesellschaft zu verändern.
Die linke Frauenbewegung ist sich im Klaren darüber, daß viele der neuerrungenen Freiheiten noch nicht gesichert sind. Den Aktivistinnen steht das Schicksal ihrer algerischen Schwestern vor Augen, sie arbeiten gegen die Zeit, versuchen irreversible Fakten zu schaffen und das neue Bewußtsein bei möglichst vielen Frauen zu festigen.
Im Verlauf der Intifada haben die Frauen auf vielen Ebenen mitgewirkt und den Verlauf des Volksaufstandes mitbestimmt. Aber die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, die Schließung der Universitäten, das Schwinden der Hoffnungen auf eine rasche politische Lösung des Konflikts - all das trifft die Frauen hart. Ihre Bewegung läuft Gefahr, viele der mühsam erkämpften Freiheiten zu verlieren, weil die nationale Führung gerade in Frauenfragen keine Konfrontation mit dem erstarkenden muslimischen Fundamentalismus wünscht.
Die palästinensischen Frauen haben schon vor langem ihre eigene „Intifada“ begonnen, einen langdauernden Prozeß des „Abschüttelns“ der traditionellen Zwänge - und diese Entwicklung ist nicht allein vom Verlauf der nationalen Intifada bestimmt.
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