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Neo-Technokraten des Zweckkicks

Einfallslose Brasilianer gewinnen mit 1:0 gegen Bora Milutinovics Costa Rica / „Armer Pele, er ist nur ein Ex“  ■  Aus Turin Matti Lieske

Bora Milutinovic, „mexikanischer Serbe“, wie er sich selber nennt, ist weit herumgekommen. „Ich bin ein reicher Mann“, sagt er von sich, „ich habe in jedem Land der Welt einen Freund.“ Doch auch mit irdischen Gütern ist der stets freundliche Jugoslawe gesegnet. „Wer arm geboren wird, hat keine Schuld“, belehrt er breit grinsend seine Zuhörer, „selbst schuld ist, wer keine reiche Frau geheiratet hat.“

Milutinovic hat in eine begüterte mexikanische Familie eingeheiratet, das Geld kann es also nicht sein, was ihn bewogen hat, für 30.000 D-Mark in drei Monaten seinen zahlreichen Stationen als Fußballtrainer noch Costa Rica hinzuzufügen. „Ich wollte bei der WM dabeisein“, lautet seine einfache Begründung, „und zwar nicht als Zuschauer, sondern als Protagonist.“

Vor vier Jahren in Mexiko hatte er die knifflige Aufgabe, das Gastgeberteam, abgesehen von Hugo Sanchez nicht gerade aus begnadeten Fußballern zusammengesetzt, möglichst ehrenvoll über die Runden zu bringen, was ihm mit Bravour gelang. In Costa Rica warf er erst mal neun altgediente Stammspieler aus dem Kader, weil sie nicht in sein Konzept paßten, und holte dafür Leute wie den zwanzigjährigen Ronald Gonzalez, der nicht einmal in seinem Vereinsteam Stammspieler war. Nicht wenige in Costa Rica hielten Milutinovic für verrückt, doch der 1:0-Sieg gegen Schottland im ersten WM-Spiel gab ihm wieder einmal recht.

Man durfte also gespannt sein, welche Überraschung er für die Brasilianer bereit hatte, und sein Rezept war denkbar einfach: sie einfach nicht ins Spiel kommen lassen. Und da das brasilianische Spiel bei dieser WM ein Konterspiel ist, dachte er sich offenbar: Wenn wir nicht angreifen, können sie nicht kontern.

Die Sache klappte. Costa Rica bedrohte niemals ernsthaft das gegnerische Tor, dafür fiel Brasilien absolut nichts ein, Costa Rica in größere Verlegenheit zu bringen. Gefahr drohte Torwart Conejo nur von seinen eigenen Vorderleuten. In der ersten Minute köpfte Chavarria an die Latte des eigenen Tores, in der zweiten Halbzeit wurde der Brasilianer Careca wunderbar mit einem Rückpaß freigespielt, und auch das Tor der Brasilianer schoß ein Costaricaner: Montero lenkte einen schlappen Schuß von Muller in Conejos Netz.

Die Brasilianer bestätigten eindrucksvoll Peles Kritik an ihrem Langweilerfußball. „Der Fehler von Trainer Lazaroni ist nicht, daß er das italienische und deutsche System kopiert, der Fehler ist, daß er glaubt, damit Erfolg zu haben“, hatte Pele gewettert, doch die Spieler stehen bislang einmütig zu ihrem Trainer.

Von der Verehrung früherer brasilianischer Fußballergenerationen für den Giganten Pele ist bei den Neo -Technokraten des Zweckfußballs, die ihr Geld meist in Italien verdienen, ohnehin nichts mehr geblieben. „Was interessiert uns, was ein Ex-Spieler sagt“, erklärte Muller, und Alemao fügte hinzu: „Armer Kerl. Er ist ein Ex. Wenn er nur gekommen ist, um den Defätisten zu spielen, hätte er es besser bleiben lassen.“

Alemao und Dunga, die bei ihren Clubs in Neapel und Florenz zuletzt die Drecksarbeit für weit genialere Fußballer wie Maradona und Baggio verrichteten, bestimmen jetzt das einst so phantasiereiche Mittelfeldspiel, und einzig Valdo sorgt gelegentlich für Überraschungen. Pfiffig wird es nur, wenn Careca den Ball bekommt, aber der hat sich als Partner ausgerechnet den wenig treffsicheren Muller ausgesucht. Die Fans aber wollen Careca mit Bebeto oder wenigstens Romario sehen, und so gab es Jubel, als sich Bebeto warmlief, und Proteste, als für ihn Careca den Platz verließ.

Mit einem schrillen Pfeifkonzert wurden die enttäuschenden Brasilianer am Schluß in die Kabinen geschickt, doch die Spieler blieben uneinsichtig. „Wir selbst würden uns heute die Bestnote geben“, sagte Valdo trotzig. Nur die Ausgeschlossenen wagten es zu maulen. „Brasilien hat ein absurdes Spielsystem und macht sich Schande“, sagte Romario. Bebeto war etwas vorsichtiger: „Ich bin nur traurig.“

Pele darf sich voll bestätigt sehen, ebenso wie Bora Milutinovic, der von einer „honorigen Niederlage“ sprach, aber schon vorher auf die Frage, ob er ein offensives oder ein defensives Brasilien vorziehe, geantwortet hatte: „Ich würde es vorziehen, wenn es Brasilien überhaupt nicht gäbe.“

Brasilien: Taffarel - Mozer, Mauro Galvao, Ricardo Gomez Jorginho, Dunga, Alemao, Valdo (88. Vilas), Branco - Muller, Careca (83. Bebeto)

Costa Rica: Conejo - Flores - Marchena, Montero - Gonzalez, Chavarria, Ramirez, Gomez, Cayasso (78. Guimaraes), Chaves Claudio Jara (71. Myers)

Zuschauer: 55.000

Tor: 1:0 Muller (35.)

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