: GEGEN DEN BRACHIALKOMMERZ
■ Die Ostberliner Kinoszene zwischen Vergesellschaftung, Kommunal- und alternativem Programm
Verleiher aus dem Westen haben den fetten Braten längst gerochen: mit billigen Softpornos ist in der DDR viel Geld zu machen. Der stellvertretende Direktor der Berliner Bezirksfilmdirektion (BFD), Hans Seliger, gab dem „Morgen“ vor kurzem bereits deutlich zu verstehen, daß Kinos mit Sexfilmen künftig nicht ausblieben. Der BFD unterstehen alle 21 Ostberliner Filmtheater, deren ökonomische Probleme aufgrund von Subventionen bisher keine waren, was sich ab 1. Juli schlagartig ändern wird.
Ziel der BFD-Verwaltung und gleichgesinnter Kinoleiter ist die Gründung einer GmbH mit zentralistischer Struktur, die mit einem Apparat aus Geschäftsführern, Programmgestaltern, Buchhaltern und dergleichen die Kinos steuert. Die MitarbeiterInnen in den Filmtheatern wären dann nur Ausführende mit wenig Einfluß auf die Programmstruktur und ihre Arbeitsbedingungen. Diese Konzeption dient aber wohl vor allem dazu, sich selbst, das heißt den alten bürokratischen Wasserkopf mit den Parteifreunden der SED -Ära, ins Ufer der Marktwirtschaft hinüberzuretten, ohne daß auch nur annähernd Klarheit besteht über zukünftige Eigentumsfragen, Pachtverträge, oder wie die Zusammenarbeit mit den Filmverleihern ablaufen soll.
Die Verwaltung der BFD arbeitet angeblich seit Januar an einer Ersttagsbilanz, deren Ergebnisse offiziell immer noch nicht bekannt sind. Dafür wurden inzwischen merkwürdige Inventurdifferenzen festgestellt. So wurden laut Rechnung Tische und Stühle für das „Toni“ in Weißensee gekauft, die das Kino nie erreicht haben, und im „Volkshaus“ Karlshorst sollen laut Inventarliste acht Filmprojektionsmaschinen existieren, tatsächlich sind aber nur zwei vorhanden. Bis jetzt weiß niemand, in welche Taschen die Mittel geflossen sein könnten. Ende des Monats sollen jedoch die staatlichen Subventionen wegfallen, und bis dahin muß geklärt sein, wieviel Einnahmen überhaupt benötigt werden, um kostendeckend arbeiten zu können. Momentan könnte zum Beispiel die Leiterin vom „Toni“, Manuela Miethe, aufgrund der Eintrittspreise und Besucherzahlen nur 15 Prozent der anfallenden Lohnkosten zahlen, wobei dann immer noch Strom und Heizungskosten offen wären. Ebenfalls nicht eingeschlossen sind dabei die Verwaltung, die im letzten halben Jahr, wie für alle Angestellten der Berliner BFD, ungefähr verdoppelt wurde, ohne zu regeln, woher dafür plötzlich das Geld kommen soll. Für das „Toni“ könnte eine solche Kinopolitik unter Umständen den Konkurs bedeuten.
Für eine große Westberliner Kinokette, mit deren Vertretern sich BFD-Direktor Bernd-Rüdiger Mann inzwischen häufig beraten hat, wäre das allerdings ein gefundenes Fressen und würde dem Ostteil der Stadt eine brachialkommerzielle Kinokultur bescheren, die von den marktführenden Verleihern Warner Brothers, UIP und Metropol bestimmt wäre. Einzelne Kinoleiter haben dazu alternative Konzepte zum Totalkommerz erarbeitet. Zu ihnen gehören neben Manuela Miethe und Christina Batsch vom „Toni“ Janine Peters vom „UT“ in Schöneweide und Carsten Goerlitz vom „Capitol“ in Adlershof sowie Jörg Urban vom Köpenicker Filmtheater „Forum“. Ihre Idee von unabhängigen Kinos beinhaltet den Zusammenschluß in einem Wirtschaftsverbund zur gegenseitigen Absicherung, falls ökonomische oder organisatorische Probleme in einem der beteiligten Filmtheater auftreten.
Diese Art Unabhängigkeit von den großen Kinoketten und Filmverleihern ließe sich natürlich nur mit Unterstützung des Magistrats in Form von Anschubkrediten oder langfristig kostengünstigen Pachtverträgen realisieren. Neben dem auch zukünftig abgesicherten Filmtheater „Babylon“ bedarf es weiterer Progammkinos, um die Breite der deutschen wie internationalen Filmbranche ausreichend präsentieren zu können. Deshalb versteht sich die Initiativgruppe für unabhängige Kinos nicht als Konkurrenz zum GmbH-Projekt der BFD-Leitung und anderer Filmtheaterleiter, sondern als Möglichkeit, endlich eigene Ideen umsetzen zu können. Von verschiedenen Leuten im eigenen Betrieb wird den Initiativlern immer wieder vorgeworfen, sie würden als Strohmänner für westliche Unternehmer fungieren. Dabei gehen sie davon aus, alternatives Kino könnte nicht effizient funktionieren. Westberliner Beispiele wie „Sputnik I + II“ oder „Eiszeit“ beweisen das Gegenteil. Aber das Mißtrauen zwischen der BFD und einigen unbequemen Angestellten reicht weit zurück. Schon vor der sogenannten Wende '89 hatte die „Toni„-Leiterin Manuela Miethe Vorschläge zum Abbau des Leistungsapparates und für mehr Selbstverwaltung gemacht, die jedoch völlig ignoriert wurden.
Seit Beginn dieses Jahres wird nun geprüft, ob und wie die Umwandlung des Betriebes in eine gemeinnützige GmbH möglich ist. Da sich hierbei eigentumsrechtliche Probleme auftaten, bildeten sich verschiedene Arbeitsgruppen, um die Geschäftssituation der BFD zu analysieren und Modelle für die Zukunft zu erarbeiten. Der Regionalausschuß von Magistrat, Senat und Ministerium für Kultur gab verschiedene Empfehlungen zur Bildung von GmbHs, Genossenschaften und unabhängigen Kinos, die den Mitarbeitern von der BFD zum großen Teil vorenthalten wurden, um einzig und allein die Umwandlung in eine GmbH zu forcieren. Als die Arbeitsgruppen sich gebildet hatten, gehörten Manuela Miethe und Jörg Urban noch dazu, bis sie mittels eines Mißtrauensantrags durch den Leiter des Filmtheaters „Kosmos“ rausgekantet werden sollten, da sie sich nicht mit dem GmbH-Projekt zufrieden geben wollten. Dem Komplott vorgreifend, gingen sie selbst und wurden daraufhin erst gar nicht mehr zu den Beratungen eingeladen beziehungsweise sogar vom stellvertretenden Direktor gehindert, daran teilzunehmen. Damit war das Verhältnis zwischen Verwaltung und Kinoleitern in den Arbeitsgruppen 3:1.
Doch die MitstreiterInnen für eine Alternativkonzeption gaben nicht auf und wandten sich an den Magistrat. Letzten Freitag fand ein erstes Treffen statt, bei dem Vertreter der verschiedenen Konzeptionen sowie Berater aus West-Berlin dem Magistrat die Lage aus ihrer Sicht darlegen sollten. Die Stadtkulturrätin Dr. Irana Rusta und die im Magistrat für Filmtheater zuständige Dagmar Straßburg zeigten sich dabei dem Projekt unabhängiger Programmkinos gegenüber sehr aufgeschlossen. Frau Dr. Rusta sprach sich ausdrücklich für Vielfalt in den Ostberliner Kinos aus. Viele Fragen sind allerdings bis 30. Juni noch zu klären, vor allem auch die Zukunft des Kinderkinos, das durch den Einfluß westlicher Großverleiher leicht ins Aus gedrängt werden könnte.
Norbert Bischoff
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