: Angst in Temeswar
Abzug der Rollkommandos aus Bukarest / Oppositionspresse nicht gedruckt In Temeswar sagten Oppositionelle am Sonntag Gedenkfeier für Revolution ab ■ Von William Totok
Iliescus Rollkommandos sind wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Zurückgelassen haben sie eine verprügelte Opposition, verwüstete Redaktionen, Angst, Blut und Terror. Und eingeschüchterte Angehörige der als kriminell und asozial verschrienen Roma-Minderheit, gegen die sowohl die Arbeiter als auch die Polizei pogromartige Aktionen durchgeführt haben.
Der Studentenführer Marian Munteanu war nur knapp mit dem Leben davongekommen, dank des Eingreifens eines Unbekannten, der einen „Kumpel“ noch abhalten konnte, ihm mit einem Beil den Kopf abzuschlagen. Munteanu liegt zur Zeit schwerverletzt in einem Krankenhaus, wo ihn mehrere ausländische Journalisten besuchen durften. Er berichtete, daß ihn die mit der Front Iliescus sympathisierenden Krankenschwestern anspuckten und als Faschisten beschimpften. Die rumänischen Medien schweigen sich aus über die blutigen Auseinandersetzungen. Die wichtigsten Oppositionsblätter unterliegen seit Donnerstag der von aufgeputschten Druckereiarbeitern verhängten polygraphischen Zensur - sie werden ganz einfach nicht gedruckt. Die der Front nahestehenden Zeitungen überschütten vor allem die ausländischen Berichterstatter mit den übelsten Beschimpfungen und Verleumdungen, ohne ein Wort über die massiven Behinderungen zu verlieren, denen die Korrespondenten ausgesetzt waren und sind.
Bloß in Temeswar, der Stadt, wo im vergangenen Dezember die Revolte gegen Ceausescu ausgebrochen war, konnte weiterhin auch die Oppositionspresse unbehindert erscheinen. Die von der Gesellschaft Timisoara herausgegebene gleichnamige Publikation war am Wochenende mit einem Trauerrand versehen. Auf der ersten Seite waren in Riesenlettern drei Wörter zu lesen: „Blut, Blut, Blut“, die alles ausdrückten: Trauer, Bestürzung, Angst und Wut. Die Gesellschaft veröffentlichte am Sonnabend eine „Erklärung“, in der das brutale Vorgehen der Iliescu-Polizei und deren Helfershelfer scharf verurteilt wurde. Bereits am Freitag war es in Temeswar zu einer spontanen Solidaritätskundgebung mit den radikaldemokratischen Demonstranten in Bukarest gekommen, die ohne Zwischenfälle verlaufen war.
Eine Kundgebung zur Erinnerung an den Ausbruch der Revolution vor sechs Monaten wurde am Sonntag abgesagt. Die Mitglieder der Gesellschaft „Timisoara“ appellierten zudem noch an die Armee, damit diese sie vor eventuellen Übergriffen der Polizei beschützen möge.
Die anonymen Morddrohungen gegen die Verfasser der berühmten „Temeswarer Proklamation“ häuften sich in den letzten Wochen, so daß Befürchtungen laut wurden, Iliescu könnte auch hier seine kettenrasselnden Söldner aufmarschieren lassen. Eine lähmende Ruhe ist in Rumänien eingezogen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen