: Domäne Dahlem: Metropole contra Dorfkern
■ Das „Herzstück Dahlems“ soll nach dem Willen des Senats mit einem FU-Sportzentrum und Wohnungen bebaut werden / Verein der Domäne Dahlem fürchtet um seine landwirtschaftlich genutzten Flächen / CDU spricht von „Barbarentum“ / AL und SPD befürworten Mischnutzung
Dahlem. Es war einmal eine Stadt ohne Umland, die bestand aus mehreren Bezirken. Davon waren die einen dichtbebaut und traditionell von „Proleten“ bewohnt, die anderen mehr am Rande dieser Inselstadt grünten üppig und waren von feinerer Klientel besiedelt. Einer dieser Außenbezirke hieß Zehlendorf und barg in seinem Herzen ein ehemaliges Landgut namens Domäne Dahlem. Übriggeblieben von den einst 500 Hektar fast tausend Jahre landwirtschaftlich genutzter Fläche waren im Jahre, da die Inselstadt zur Metropole avancieren sollte, noch ein inzwischen restauriertes Herrenhaus nebst einiger Gebäude und etwa zwölf Hektar. Von denen konnte die Domäne als „Landgut und Museum“ circa ein Viertel landwirtschaftlich nutzen. Die Hälfte der Fläche beanspruchte ein Sendemast der Allierten, den Rest teilten sich Institute der Freien Universität.
Die Stadt nun barg in ihrem Inneren neben Liebhabern des Butterfasses und der kornblumengesäumten Felder auch eine Spezies namens Sportstudenten, die seit Jahr und Tag keinen vernünftigen Ausbildungsplatz ihr eigen nennen konnten und denen der Wissenschaftssenat deshalb - wo Platz scheint, muß betoniert werden - ein Domizil just auf dem senatseigenen Domänengelände einräumen wollte. Als im Zuge der Wiedervereinigung die Alliierten signalisierten, ihres Sendemastes nicht mehr zu bedürfen, fand sich als weiterer Interessent für die Fläche der Bausenator, der flugs ein paar hundert Wohnungen aufs Feld stellen wollte. Es hatte sich nämlich erwiesen, daß der so grüne Bezirk Zehlendorf im Wettstreit der Bezirke um Bauplatzangebote für zukünftige Metropolenbewohner recht zurückhaltend war und nur läppische 2.300 Wohneinheiten aufnehmen wollte. Die Geschichte endet einstweilen wie alle Märchen: da sie nicht gestorben sind, streiten sie noch heute.
„Rot-Grüne, fühlt ihr denn nicht als Berliner“, dräut es aus Anzeigen des Domänenvereins dem Tageszeitungsleser entgegen. Der fühlende Berliner ist offensichtlich für grüne Freiflächen und gewachsene Strukturen, so wie neuerdings auch maßgebliche CDU-Politiker des Abgeordnetenhauses. Zwar vermißte die fühlende BerlinerIn derlei Sensibilität der Christdemokraten in der Vergangenheit, wenn es etwa um Grünflächenvernichtung in „Proleten„-Bezirken ging, nun aber kämpfen sie gewaltig: „Barbarentum“ entfährt es dem CDU -Abgeordneten Lehmann-Brauns im Kulturausschuß Richtung Rot -Grün und er argwöhnt auch gleich „ein Stück Rache“ der regierenden Sozis und Alternativen an „diesem Ortsteil“. Sorgen macht er sich besonders um die ALer, die nach seiner Auffassung „nicht mehr vor die Öffentlichkeit treten können“, falls sie der Bebauung mit Sportzentrum und Wohnungen zustimmten. War es doch Umweltsenatorin Schreyer, die noch im letzten Jahr alle Bezirke aufforderte, „dafür Sorge zu tragen, daß die Umsetzung des Landschaftsprogramms in vollem Umfang gelingt“. Das Restgelände der Domäne ist nach dem Landschaftsprogramm im Gegensatz zum Flächennutzungsplan als nicht zu bebauende Fläche geschützt. Zehlendorfs Baustadtrat Menzel (CDU) will die Sportstudenten nicht in die Wüste, aber nach Düppel schicken, eine Vorstellung, die nach Auffassung des Senats und der SPD -Fraktion den künftigen Lehrern wegen der weiten Wege nicht zuzumuten ist. Sie stellen sich das praktikabel vor: auf dem Gelände des ehemaligen Sendemastes das Sportzentrum mit Neonlicht, der Himmel weiß wieviel Parkplätzen und zwischen Herrenhaus, Töpferei und Aschenbahn das friedlich widerkäuende Rindvieh. Die Wohnungsbaupläne ihres Bausenators wollen die SPDler ebenso wie die AL verhindern. Der AL gefällt zwar die geplante multifunktionale Nutzung des Geländes nicht besonders, gegen das Sportzentrum mag sie sich jedoch nicht einsetzen.
Die Mitglieder des Domänenvereins waren zwar vor der Öffnung der Mauer noch zu Kompromissen bereit, angesichts der neuen politischen Verhältnisse halten sie jedoch die Bebauung des ökologisch wertvollen Geländes mit einem Sportzentrum für nicht mehr vertretbar. Es sei gerade für ein zukünftiges Land Berlin-Brandenburg von Wichtigkeit, die Domäne nicht nur als Museum, sondern als aktives Landgut zu nutzen. Die dörflichen Wurzeln Berlins könnten hier im „lebendigen Museum“ deutlich gemacht werden, „da gerade in der Stadt die Defizite im Wissen der Bevölkerung am größten“ seien. Selbstverständlich könne man „Weizen auch im Blumentopf ziehen“, so der wissenschaftliche Leiter des Projektes, Dr. Schütze. Wenn man aber die Wohn-, Lebens- und Wirtschaftsweise zur Zeit der beginnenden Industrialisierung anschaulich machen wolle, erfordere dies landwirtschaftliche Flächen.
Die dringend erforderliche politische Entscheidung, ob diese Stadt sich eine Zubetonierung weiterer Grünflächen leisten kann, wird, so scheint es, einmal mehr auf die bürokratische Ebene verlagert. Nach Sportgutachten und Umweltverträglichkeitsprüfung folgt nun ein von der Kultursenatorin in Auftrag gegebenes Gutachten, das den Flächenbedarf des Museumsprojektes ein für alle Mal feststellen soll. Der Verein der Domäne Dahlem hofft darauf, haben doch vergleichbare Projekte in Westdeutschland ungleich größere Flächen zur Verfügung. Die Fraktionäre lehnen sich erleichtert zurück.
Sigrid Bellack
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