: Rechte greifen Gorbatschow an
■ Auf dem Gründungskongreß der russischen Kommunistischen Partei wird der Rücktritt des Generalsekretärs gefordert
Moskau(afp/taz) - Sowohl von seiten des demokratischen Lagers wie von seiten der Konservativen ist auf dem Gründungskongreß der russischen KP die Forderung nach dem Rücktritt Michail Gorbatschows vom Parteivorsitz der KPdSU lautgeworden.
Für die Demokraten sagte Jelzin, Präsident der russischen Föderation, es wäre besser für Gorbatschow, „nur auf einem Stuhl zu sitzen“. Er selbst sei durch sein Präsidentenamt so in Beschlag genommen, daß es ihm nicht einfiele, für den Posten des Ersten Sekretärs der russischen Partei zu kandidieren. Scheinbar ähnlich argumentierte Ligatschow. „Man kann die Partei, die führende Kraft, nicht leiten, ohne ihr seine ganze Kraft zu widmen.“ Er fügte dann aber die Frage an: „Oder können wir vielleicht ohne die Partei auskommen?“ und ging zum Angriff über. Viele bedeutende Fragen wie der Übergang zur Marktwirtschaft oder die Analyse des Umbruchs in den ehemals sozialistischen Ländern seien weder im Politbüro noch im Zentralkomitee vordiskutiert worden. Der Präsidial- und der Föderationsrat, die beiden Beratungsorgane Gorbatschows, hätten alle Kompetenzen an sich gerissen.
Gorbatschow wies diesen Angriff heftig zurück. Die Wirtschaftsreform sei auf dem letzten Parteitag beschlossen und hundertfach konsultiert worden. Es handle sich hier um eines der Argumente „die benutzt werden, um anzudeuten, daß im ZK alles im argen liegt“.
Wie sehr der Gründungskongreß der russischen Partei von den Konservativen beherrscht wird, zeigt vor allem das Abstimmungsergebnis über die Grundorganisationen im KGB, im Innenministerium und in der Armee. Für den Appell, kommunistische Zellen in diesen Organisationen beizubehalten, stimmten 2.008 Delegierte, nur 398 waren für die Auflösung. „Das diskreditiert uns in den Augen der Bevölkerung. Denn das heißt doch, daß unsere Partei ohne Unterstützung der Repressionsorgane nicht lebensfähig ist“, kommentierte der demokratische Bürgermeister von Leningrad, Anatoli Sobtschak, das Ergebnis.
Viele Delegierte beklagten unter starkem Beifall des Auditoriums das Chaos und den Vertrauensverlust, den die Partei im Lande erlitten habe. Immer wieder wurde der Verlust ehemaliger ideologischer Klarheit beklagt und zur Vereinheitlichung der Ideologie auf der Basis des Leninismus aufgerufen. Wie diese Einheit zu bewerkstelligen sei, war allerdings von keinem der Delegierten zu hören. Sollten sich die Konservativen bei der Wahl des Ersten Sekretärs der russischen KP durchsetzen, droht Gorbatschow auf dem Parteitag der KPdSU die Abwahl. Auf diese Folgen machte J.Prokovjew, der Erste Sekretär der Moskauer Parteiorganisation aufmerksam: Es sei noch zu früh, Partei und Staatsführung zu trennen, da sich die neuen Staatsorgane gerade erst gebildet hätten.
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