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Feministische Nachhilfe

■ Deutsche Urlauberinnen in Italien. Laura Falciola hat sie beobachtet

in sonniger Nachmittag in Sardinien. Die Luft ist klar, der Strand nah. Das blaugrüne Meer und der mit Blumen gesprenkelte Pinienhain umrahmen das kleine Bild von Entspannung, von Urlaub total. Die Nase voll vom Duft der wildwachsenden Kamille, sitze ich zusammen mit drei deutschen Frauen an einem wackligen Tischchen in einer der Bars des kleinen Ortes. Eine der Frauen erscheint mir, wo ich sie in meinem Land sehe, wie ein Klischee: strohblonde Haare, blaue Augen, ein exotischer Schrei in dieser Mittelmeerlandschaft.

Es war mir schon immer ein heimliches Vergnügen, mein Land zu bereisen und dabei anonym zu bleiben unter Tausenden von dunkelhaarigen und kleinen Frauen, während meine armen deutschen Begleiterinnen die unverschämten Blicke der Männer auf sich zogen. Es ist ein bißchen so wie die Geschichte vom süßen Blut, das die Mücken anzieht: um den Biestern zu entgehen, braucht man sich bloß an die Seite einer Person zu heften, die süßeres Blut hat als man selbst...

Meine drei Tischgenossinnen erzählen gerade entnervt, wie schwierig es sei, in Italien andere Frauen kennenzulernen, Italienerinnen, wohlgemerkt. Ihr Tonfall ist nicht etwa fragend, nein, sie stellen klipp und klar eine Behauptung auf. Dieser blitzschnelle, gleichwohl harmonische Dreiklang wischt mich mit einem Streich aus der Landschaft. Schwamm drüber, Kaffeeflecken und ich verschwinden vom Tisch.

Oder wollten sie mich gar nicht übergehen? Sie haben versucht, mich ins Gespräch miteinzubeziehen, indem sie das Gerücht kritisch hinterfragten, daß die Hälfte der Bevölkerung meines Landes Frauen seien!

ch höre nur noch mit einem Ohr hin, ich kann ihren Worten nicht mehr so recht folgen. Ach ja, die Hitze wird dran schuld sein. Mir ist es zu heiß, und die Sonne blendet mich. Ich rücke den Stuhl in den Schatten und versuche dabei, den Blick des kartenspielenden Kellners zu erheischen, um mir ein Mineralwasser zu bestellen. Ich fühle mich einer „großen Wahrheit“ nahe: Das italienische Volk taugt nicht zum analytischen Denken, zum tiefgründigen Räsonieren. Es ist, wie soll ich sagen, eine Spur oberflächlich.

Ob es wirklich an der Hitze liegt? Aber ich spüre, daß es nicht nur die Sonne ist, die meine Gedanken plattbügelt. Nachdem die Frauen sich über die schmerzvolle Erkenntnis geeinigt haben, daß frau keine Italienerinnen kennenlernen kann, stürzen sie sich mit großem Eifer auf ein viel interessanteres Thema: die italienischen Männer. Ein fesselndes Thema, voller Schattierungen und Fragen. Stundenlang können sie darüber reden, jede noch versteckte Seite aufdecken. Vor allem aber können sie es sehr, sehr ernst nehmen. Ein potentes Leitmotiv für die gesamte Dauer des Urlaubs, das auch intellektuellen Ansprüchen genügt, so wie das Meer und die Sonne physische Bedürfnisse befriedigen.

Ich beobachte zwei Frauen, wie sie das Baby einer dritten bewundern und dabei kleine entzückte Jauchzer loslassen. Das Neugeborene - in weiße Spitzen vermummt, proper und glänzend - ähnelt einem verschlafenen und wehrlosen Äffchen. Sein älteres Schwesterchen nimmt an der Wonne der Erwachsenen teil, klein, die Füßchen verpackt in funkelnden schwarzen Lackschuhen, Gesichtsausdruck und Mimik ganz Ehefrau und Mutter in Miniatur.

Was haben denn diese Frauen zu bieten? Sie könnten vielleicht von Interesse sein für eine Ethnologie-Studentin, die sich zum Beispiel daran macht, ihre Arbeit zu schreiben über den Mythos der Ehe und der Schwangerschaft und das Tabu des Zölibats bei den Weibern einiger sardischer Stämme unseres Jahrhunderts. Vielleicht erfüllen sie ja noch einen anderen Zweck: sie verkörpern in Fleisch und Blut alles, was so viele Touristinnen für sich selbst kategorisch ablehnen und sich jetzt aus einiger Entfernung live beschauen können, mit einer Mixtur von Faszination und Abscheu. So bekommen sie die Möglichkeit, sich von deren Frausein - gekoppelt mit deren gesellschaftlichem Status - zu distanzieren. Diese Faszination ist von einem seltsamen Impuls durchwachsen, sie mystifizieren zu wollen. Und so lassen sie allzu gerne Mythen auferstehen, wie „das Ursprüngliche“, „die Spontaneität & der Instinkt“, „die Großfamilie“ - die italienische Feministinnen viel treffender „patriarchalische Familie“ nennen.

as für seltsame Widersprüche. Sie werden sogar noch seltsamer, wenn ich daran denke, daß auch die Männer zu diesem Volk gehören, das so besessen ist von reaktionären, frauenfeindlichen und bigotten Werten. Aber die Männer, wie konnte ich das bloß vergessen? Sie kennenzulernen, hat frau keinerlei Mühe! Die sind doch so schön aufgeschlossen, lustig, galant und charmant. Sie besitzen einen gewissen Sex -Appeal, sind immer und gerne bereit, euch zu irgendwelchen Dorffesten zu führen, während die unnahbaren Weibchen, umgeben von ihren dunklen Welpen, wunderbare Pastasciutte zubereiten und so ihr Fest ganz in der Küche feiern.

Es kann natürlich sehr leicht passieren, daß für diese Touristinnen auch mal der eine oder andere kleine Fick mit den stets hilfsbereiten Männern dabei herausspringt. Am Strand? Beim Mondschein mit Fiat? Egal, es ist jedenfalls ein Angebot, das frau nicht vorbeiziehen lassen sollte: wie bringen sie es sonst zustande, in Kiel oder wo auch immer, sich von einem echten sardischen Hirten ficken zu lassen? Von einem Mann, der, merkt es euch gut, wirklich immer noch nur das eine von euch will! Eine Blitzannäherung an den „Instinkt“, ein flinkes Streifen des morbiden Charmes der „Großfamilie“ und ein kurzes Schmecken der sexuellen Gelüste eines „ursprünglichen“ Mannes.

Diese höchstromantischen Geschichten von Sex & Leidenschaft kann frau nur ganz weit weg von zu Hause erleben, in diesem Fall in Italien. Daheim sind sie doch alle mehr oder weniger, wohl oder übel Feministinnen und wehren sich - zu Recht - gegen jedes sexistische Gehabe ihrer Männer.

Aber was tun die gehörnten italienischen Ehefrauen und Verlobten? Sie sensibilisieren sich! Denn wenn ihre Männer rumhuren und sie darunter leiden, dann packen sie endlich die Chance, ihre Lage, ihr ganzes Leben zu überdenken, das für sie im Grunde gar kein Leben ist, vollgestopft von Besitzdenken, Eifersucht und Verlustängsten. Ein Leben, bestehend aus Hausarbeit, Kinderaufzucht, mit Gewalt erlebter Sexualität, ein Leben voll von „Halt's Maul, wenn Männer reden“. Wenn sie doch endlich die Gelegenheit ergreifen würden, eine anständige Selbsterfahrung zu machen! Wenn sie nicht völlig dumm sind - und andernfalls kann auch kein Heiliger mehr helfen -, dann werden sie ihr Leben selbst einrichten können. Sie brauchen ihn nur zu verlassen, ihren Mann, und dann, als ersten Schritt, zu den Eltern zurückzugehen samt Kinderchen. Wozu soll sie sonst da sein, die ach so gepriesene Großfamilie? Da schau her, wie Omas und Opas die Töchter und Enkel mit offenen Armen empfangen! Und dann, langsam langsam, suchen und finden diese gehörnten Neoemanzipierten eine Arbeit, stellen sich auf die eigenen Füße, natürlich in der Stadt, wo Arbeitsplätze und Wohnungen wie Sand am Meer zu finden sind.

Siehe da, sie entdecken ihr wahres Frausein, dank des soziokulturellen Engagements vieler Touristinnen. Im Grunde genommen ist es nicht wichtig, die Italienerinnen direkt persönlich - kennenzulernen. Es gibt versteckte, aber wirksamere Methoden, sich ihnen zu nähern. Indem frau sie von hinten packt, ohne je ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben, hilft sie ihnen auf dem langen Weg der Befreiung.

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