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Land der Etrusker

■ Die Toskana kennen sie alle, aber wer weiß, wo die Maremma liegt? Hans-Martin Barthold gibt die Antwort

Land der Etrusker

Die Toskana kennen sie alle, aber wer weiß, wo die Maremma liegt?

HANS-MARTIN BARTHOLD gibt die Antwort.

ie einen reisen nach Siena in dem Bewußtsein, nur auf dem dortigen, einzigartig schönen Marktplatz die typische Atmosphäre toskanischer Kultur erleben zu können. Andere steuern Piombino an, um von dessen Hafen am tyrrhenischen Meer mit der Fähre nach Elba, der Insel für Individualisten, überzusetzen. Die dritten, hungrig nach dem Pulsschlag einer Weltstadt, haben die Metropole Rom zum Ziel. Allen gemeinsam jedoch ist, daß sie an dem Land, das im Fadenkreuz dieser drei Fixpunkte liegt - der Maremma -, im Eiltempo vorbeifahren. Völlig zu Unrecht, aber wohl gleichzeitig zum Segen dieser Landschaft.

Daß die durch Bruna und Ombrone aufgeschüttelte und allmählich verlandete Sumpflandschaft Wiege eines die kulturelle Identität Europas wesentlich beeinflussenden Volkes, der Etrusker, war, ist weitgehend unbekannt. Oder erinnerte sich jemand der Namen der ersten Könige Roms, die im 6.Jh.v.Chr. den Grundstein zur später glanzvollen Entwicklung des römischen Weltreiches legten, und vor allem, daß sie Etrusker waren? Wüßte gar einer, daß sie es waren, die die ersten Städte bauten, zumeist auf dem Rücken der die Maremma umgebenden flachen Berge, von ihrer Konzeption eher defensiv als offensiv, lange vor den alten Griechen? Wer es nicht glaubt, fahre nach Vetulonia, Roselle, Saturnia oder Sovana und bestaune dort deren fachmännisch freigelegte Reste.

So mag ihr Vergessensein wohl weniger an der Schwierigkeit liegen, ihre Schrift - meist schrieben sie von rechts nach links, manchmal aber auch umgekehrt -, zwar entziffern, aber nicht deuten zu können. Vielmehr gibt es zu wenig Erhaltenes und damit Nachlesbares von den Etruskern. Die Römer gingen der Bestätigung eigener Größe wegen mit deren Hinterlassenschaften anfangs nicht zimperlich um. Erst Kaiser Claudius, dessen Frau Urgulanilla selbst Etruskerin war, verfaßte aufgrund der mündlichen Überlieferung ein zwanzigbändiges Geschichtswerk, die sogenannte „Tyrrhenica“ (die Etrusker nannten sich selbst Tyrrhener oder Rasena) doch umsonst. Es wurde beim Brand der Bibliothek von Alexandria vernichtet. Seitdem herrscht nur mühsam aufzuhellendes Dunkel über das Woher und Wohin dieses Volkes.

oviel aber immerhin scheint gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Sie waren „Zugereiste“, aller Wahrscheinlichkeit nach aus Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei. Ihre Einwanderung scheint - selten genug - nicht das Ergebnis kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen zu sein. Statt dessen haben sie sich mit den Ligurern gütlich arrangiert, war allem Anschein nach Friedfertigkeit eines ihrer hervorstechendsten Wesensmerkmale. Etruskische Skulpturen leider nicht mehr vor Ort, sondern insbesondere in den archäologischen Museen von Florenz und Grosseto sowie der Villa Giulia in Rom zu sehen - zeigen hauptsächlich mit sich selbst im Einklang befindliche und zufrieden lächelnde Genießer. Bei der Landschaft durchaus kein Wunder, ist man geneigt festzustellen.

Das meiste, was wir von den Etruskern, bei denen Männer und Frauen gleichberechtigt waren, wissen, fand sich allerdings nicht in den Städten der Lebenden, sondern in denen der Toten, ihrer Nekropolen. Gut erhaltene Höhlen beziehungsweise Hügelgräber liegen vor allem nahe Vetulonia, Saturnia und Sorano. Die Etrusker, sie verstanden offensichtlich nicht nur zu leben, sondern auch in einer gewissen Melancholie des Vergänglichen zu sterben. Eine Stele des Museo Civico in Bologna jedenfalls zeigt den Tod als nackten Jüngling, der dem noch Lebenden freundschaftlich die Hand reicht. Zu Zeiten der Hochkultur zierten Reliefs und Fresken mit zum Teil deftigen Szenen des täglichen Lebens, auch des Liebeslebens, die Wände. Später malte man diese nur noch an. Das war billiger.

Der lose zusammenhängende Bund von Lukumonien, zu dem sich die Etrusker zusammengeschlossen hatten, war wohl zu friedfertig, zu wenig aggressiv, um dem ausgeprägten Militarismus der Römer dauerhaft widerstehen zu können. Rom sog ihre Kultur auf, zerstörte ihre Städte, baute auf den Trümmerfeldern eigene Siedlungen. Etrurien und die Etrusker

-sie gerieten in Vergessenheit. Die Macchia überwucherte die meisten Spuren menschlichen Lebens.

m Zuge der langobardischen Invasion in die Toskana kam auch die Familie der Aldobrandeschi ins Land, 862 das erste Mal urkundlich erwähnt. Es heißt, ihr Reichtum sei so groß gewesen, für jeden Tag des Jahres ein Schloß besessen zu haben. Tatsächlich begegnet man in der Maremma an jeder zweiten Ecke einer Burg, einem Schloß oder einer Befestigungsanlage: der sechseckige Mauerring von Grosseto zum Beispiel, der an Lucca erinnert, auch wenn der davon eingeschlossene Domplatz diesem Vergleich nicht standhalten kann; die Citadella von Pittigliano, auf einem Tuff-Felsen stehend, dessen Fuß von unzähligen Höhlen durchbrochen ist, die früher etruskische Gräber waren, heute aber ganz profan als Weinkeller, Werkstätten oder Garagen genutzt werden; die Burgen von Monciano und von Capalbio, deren Wehrmauern man besteigen darf und dafür mit einem herrlichen Panoramablick auf Lago Burano samt Küste belohnt wird.

Kultiviert allerdings wurde dieses sumpfige Küstengebiet erst wieder richtig unter CosimoI. (1519-1574), einem machthungrigen Sproß des Clans der Medici. Nachdem er sich 17jährig selbst zum Diktator ernannt hatte, vereinigte er alle toskanischen Provinzen - meist mit Feuer und Schwert unter der Oberhoheit von Florenz. Zur Kunst soll er so gut wie kein Verhältnis gehabt haben, um so mehr aber zur Macht und deren wichtigster Basis, der Wirtschaft. Das Kanalsystem zur erneuten Trockenlegung der Maremma, es geht weitgehend auf ihn zurück.

Während der Wirren und Willkür der französisch -napoleonischen wie österreichisch-habsburgischen Besatzung der Toskana wurde die fruchtbare Maremma ausgebeutet, ihre Bewohner geschunden und von den Grundbesitzern in sklavenähnlicher Abhängigkeit gehalten. Daran änderte auch die italienische Einigung unter dem Piemonteser Vittorio EmanueleII. zunächst wenig. Und so nehmen die zahlreichen Geschichten, vielfach auch Legenden um bracconiere und briganti - Wilderer und Räuber - in dieser Landschaft nicht wunder. Einer der bekanntesten war Domenico Tiburzi, der vor allem in der Macchia um Capalbio die Reichen beraubte, um seine Beute anschließend an die Armen zu verteilen. 1896 erschoß man ihn, nach gnadenloser Jagd völlig erschöpft, wie man ein Wild zur Strecke bringt. Oder David Lazaretti, der eine eigene Kirche - die giurisdavidische - gründete mit dem Leitspruch: Für die Republik, Gott und die Freiheit. Mitten in einer Prozession und vor aller Öffentlichkeit ereilte ihn 1878 das gleiche Schicksal, gewaltsamer Tod durch eine Gewehrkugel. Vergessen ist allerdings auch er nicht. Noch immer feiern seine Anhänger in der Nacht vom 14. auf den 15.August am Monte Labbro die „Messe des Propheten“. Der Sinn nach Freiheit, Gerechtigkeit und Individualität der Etrusker, mit der alle über diesen Landstrich Herrschenden zu jeder Zeit ihre liebe Mühe und Not hatten, wurde im Widerstand dieser Männer und Frauen gleichsam tradiert.

Die Maremma heute liegt abseits der großen Touristenströme und hat in ihrer industriellen Entwicklung nicht ganz Anschluß halten können. Zwei Gesichter, wie immer, sind die Folge. Der Lebensstandard ist einfach, und noch sind der Natur hier die brutalen Verletzungen, die Massentourismus wie wirtschaftliche Prosperität häufig im Gefolge haben, weitgehend erspart geblieben. Man lernt Menschen kennen von zurückhaltender Souveränität in den Gehöften der Ebene und scheuer Neugier in den kleinen Bergstädtchen. Man lernt ein Land kennen - einsam, einfach, ganz natürlich.

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