Daimler: Schreyer völlig überrollt

■ SPD will am Dienstag im Senat den Kaufvertrag mit Daimler absegnen / Vertragsentwurf für über 60.000 Quadratmeter am Potsdamer Platz ging erst am Freitag nachmittag bei AL-Umweltsenatorin Schreyer ein / AL-Politiker: „Das ist die Koalitionsaufkündigung“

Berlin. Keine Woche nach dem AL-Beschluß, die rot-grüne Koalition fortzusetzen, steht das Bündnis wieder auf der Kippe: Der Regierende Bürgermeister Momper will den zwischen SPD und AL umstrittenen Kaufvertrag mit Daimler-Benz morgen im Eilverfahren im Senat durchpauken. Am Freitag nachmittag um 17 Uhr - und damit nach Büroschluß - stellte SPD -Finanzsenator Meisner den Vertragsentwurf der AL -Umweltsenatorin Michaele Schreyer sowie dem Bau- und dem Wirtschaftssenator zu. Heute geht das zwischen Meisner und Daimler-Benz ausgehandelte Papier, das den Verkauf von gut 60.000 Quadratmetern Senatsland am Potsdamer Platz besiegeln soll, an die Fraktionen von SPD und AL. Morgen will die SPD die Vereinbarung kurzfristig auf die Senatstagesordnung hieven und verabschieden. Ob es zu dem Beschluß kommen werde, hänge noch davon ab, ob die Fraktionen „wesentliche Einwände“ vorbrächten, sagte Senatssprecher Werner Kolhoff gestern. Nachdem die grundsätzliche Entscheidung für Daimler bereits gefallen sei, seien derartige Einwände aber nicht zu erwarten.

Völlig geschockt sind die AL und Umweltsenatorin Schreyer. Das sei „die praktische Aufkündigung der Koalition“, sagte der AL-Abgeordnete Hartwig Berger gestern zur taz. Schreyer, die am Donnerstag abend durch einen taz-Anruf von dem SPD -Plan gehört hatte, spricht von einem „Affront“. Der SPD sei schließlich bekannt, daß die AL zum jetzigen Zeitpunkt einen Vertrag mit dem Stuttgarter Konzern ablehne. Für die Umweltsenatorin sind überdies einige Vertragsbedingungen „nicht akzeptabel“. In dem Vertrag, so Schreyers Kritik, sei bereits die Geschoßflächenzahl des künftigen Dienstleistungszentrums festgelegt. Diese Frage müsse aber dem städtebaulichen Wettbewerb vorbehalten bleiben.

Momper-Sprecher Kolhoff sah gestern dagegen keine „triftigen Gründe“, die gegen eine Verabschiedung des Vertrages sprechen könnten. Dabei hat sich nicht einmal etwas an dem umstrittenen Preis von 1.500 DM pro Quadratmeter geändert, zu dem der Senat den Boden verschenken will. Meisner kann sich hier zwar darauf berufen, daß er nach der Landeshaushaltsordnung gezwungen ist, zum Verkehrswert zu verkaufen. Schreyer sieht jedoch die Möglichkeit, in einem - allerdings langwierigen Verfahren einen realistischen Verkehrswert nach heutigen Marktpreisen neu zu ermitteln. Gar nicht erst ernsthaft geprüft wurden überdies Modelle, die einen Verkauf unnötig gemacht hätten: Dazu zählt beispielsweise eine Vergabe des Grundstücks per Erbbaurecht. Ebenfalls nicht erwogen wurde die - mittlerweile auch von Senatsexperten diskutierte Gründung einer gemeinsamen GmbH nach New Yorker Vorbild. Sie hätte auch den Senat an den Millionen-Einnahmen beteiligt, die Daimler-Benz mit der Vermietung von Büroräumen in dem künftigen Dienstleistungszentrum wird verdienen können. Einziges Bonbon im Vertragsentwurf: Der Senat kann das Grundstück zum selben Preis zurückkaufen, falls sich die Stadt und der Konzern nicht über die Form der Bebauung einigen können.

Ursprünglich wollte Meisner, wie berichtet, nur einen „Optionsvertrag“ mit Daimler-Benz aushandeln. Weil der städtebauliche Wettbewerb auf Wunsch des Ostberliner Magistrats nun verschoben werden soll, will man die nervösen Daimler-Manager jetzt gleich mit einem Kaufvertrag beruhigen. Ebenfalls am Dienstag werde der Senat beschließen, die bisher für Sommer vorgesehene Wettbewerbsausschreibung um zwei bis vier Monate zu verschieben, sagte der Ostberliner Stadtrat für Stadtentwicklung, Clemens Thurmann (SPD), gestern zur taz. Nach dem bisherigen Zeitplan hätte er ganze drei Tage Zeit gehabt, die Wettbewerbsunterlagen zu prüfen. Den Kaufvertrag mit Daimler freilich kann Thurmann nicht mehr überprüfen. Er soll zwar am Dienstag bewußt in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Magistrat behandelt werden; doch ihre Parteifreunde in Ost-Berlin hat die West-SPD davon noch nicht informiert.

Hans-Martin Tillack