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„HIV erklärt nicht alle Aspekte von Aids“

Der französische Virologe Professor Luc Montagnier, Entdecker des HIV-Virus, über seine neue Aids-Hypothese  ■ I N T E R V I E W

Professor Luc Montagnier hat in San Francisco einigen Pressewirbel mit seiner neuen Hypothese für die Entstehung von Aids ausgelöst: Mycoplasmen, kleine Bakterien, die sich an der Zelloberfläche anhaften, sollen die Virusproduktion „anheizen“.

Frage: Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Hypothese, daß für die Entstehung der Krankheit Aids noch andere Ko -Faktoren verantwortlich sind. Der Virus HIV allein reicht demnach nicht aus, um die Krankheit auszulösen. Jetzt haben Sie gesagt, daß die Mycoplasmen dieser Ko-Faktor für Aids sein könnten.

Prof.Luc Montagnier: Zunächst muß man zweierlei unterscheiden: Einmal die Hypothese, daß überhaupt Ko -Faktoren existieren, und zum zweiten die Hypothese, daß die Mycoplasmen diese Ko-Faktoren sind. Man muß sich klarmachen, daß der Virus nicht von Anfang an die Zellen tötet, die er infiziert hat. Im Labor erwirbt der Virus seine zelltötende Eigenschaft erst nach mehreren Durchgängen. Darüber hinaus haben alle Forscher herausgefunden, daß es bei den Kranken nur wenige infizierte Zellen gibt. Es gibt also ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der geringen Anzahl infizierter Zellen und der Schwere des Krankheitsbildes. Es fällt mir schwer, zu glauben, daß allein der HIV alle Aspekte der Krankheit Aids erklärt. Wie soll man sich zum Beispiel die sehr lange Inkubationszeit erklären und ihre Schwankungsbreite bei den einzelnen Betroffenen. (...) Retroviren neigen im allgemeinen auch nicht dazu, die Zellen und den Wirt in solch kurzer Zeit zu töten. Normalerweise sind die Retroviren so konstruiert, daß sie wie ein Pickel auf der Zelloberfläche sitzen. Die meisten Retroviren werden von Mensch und TIer gut vertragen. Manche Retroviren können zwar Krebs auslösen, aber nur auf indirekte Weise.

Und deshalb glauben Sie an die Existenz von Ko-Faktoren?

Ja. Aber welche Ko-Faktoren? Noch ein anderer Virus, eine genetische Veranlagung? Ein anderer Mikro-Organismus? Manche Forscher haben sich sehr schnell auf die Hypothese des Zytomegalie-Virus konzentriert (als Ko-Faktor). Aber im Labor zeigte sich, daß dieser Virus nicht mit HIV zusammen funktioniert.

Was hat Sie veranlaßt, an die Mycoplasmen zu denken?

Am Anfang stand die Beobachtung eines Forschers in meinem Labor. Er hat in vitro herausgefunden, daß Antibiotika, vor allem Tetracycline, wie sie zur Bekämpfung von Bakterien und Mycoplasmen bekannt sind, die zelltötende Eigenschaft von HIV hemmen. Dazu kommt, daß die Literatur über Mycoplasmen -Infektionen bei Immunschwäche berichtet.

Aber im Moment ist dies nur eine Hypothese?

Sicherlich. Wir unternehmen große Anstrengungen, um sie zu belegen. So haben wir beweisen können, daß die mycosplasmen -wirksamen Antibiotika den zellpathogenen Effekt von HIV bei weißen Blutkörperchen unterdrücken. Und wenn man andererseits Moycoplasmen hinzufügt, verstärkt man den Tötungseffekt von HIV. Zumindest ist das im Labor der Fall. Man hat sich natürlich gefragt, ob man Mycoplasmen auch bei Lymphozyten oder bei roten Blutkörperchen findet. Das Ergebnis, das ich in San Francisco vorstellen werde, ist, daß wir in 35 Prozent der untersuchten Patienten auch hier Mycoplasmen gefunden haben.

Ist diese Zahl signifikant?

Ja. Man muß wissen, daß wir am Anfang unserer Forschung das HIV auch nicht bei 100 Prozent der Kranken isolieren konnten. Außerdem haben wir in der Identifikation der Mycoplasmen Fortschritte gemacht. Mindestens drei Arten sind isoliert und vom amerikanischen Team von Professor Lo beschrieben worden. Als Folge dieser Resultate denken wir natürlich auch an die therapeutischen Konsequenzen. Wenn man die Mycoplasmen bei einem Kranken reduziert, müßte sich sein Zustand bessern. Das wäre der direkte therapeutische Beweis. Die ersten klinischen Versuche sind dazu unternommen worden.

Weiß man, wie diese Mycoplasmen agieren?

Die Mycoplasmen sind kleine Bakterien, die als Parasit an der Oberfläche der Zellen leben. Man findet sie häufig auf den Schleimhäuten. Die Frage ist nun, welche Interaktion zwischen dem Virus und diesen Mycoplasmen besteht. Was man sagen kann, ist, daß in vitro die Virusproduktion stark zunimmt, sobald eine kleine Menge an Mycoplasmen vorhanden ist. In vivo würde das bedeuten, daß die Entwicklung von Aids nicht nur vom Vorhandensein des HIV abhängt, sondern auch von seiner erhöhten Vermehrung, die von den Mycoplasmen ausgelöst wird.

Interview: zusammengefaßt aus 'Liberation‘.

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