: Alter Streit vor neuem Hintergrund
■ Ralf Fücks (Grüne) und Frank Haller (Senatsdirektor Wirtschaft) stritten um Bremens Zukunft / Ökologische Utopien gegen Primat der Standortkonkurrenz
Sie kennen sich von zahllosen Debatten in der Bremischen Bürgerschaft. Sie gelten als Protagonisten für durchaus verschiedene wirtschaftspolitische Positionen und als Denker über den Alltag hinaus. Durchaus geeignet also sich über das Thema „Quo vadis - Bremen“ zu streiten, mag sich die Angestelltenkammer gedacht haben, als sie den Grünen Ralf Fücks und den Senatsdirektor für Wirtschaft, Technologie und Außenhandel, Frank Haller, einlud. Letzterer gilt als wesentlicher Architekt der neuen Bremer Wirtschaftspolitik und hat für die Senatoren Lenz und Beckmeyer wesentlich am „Wirtschaftspolitischen Aktionsprogramm“ mitgebaut. Als Dritten hatte die Kammer den DDR-Wirtschaftsexperten Cord Schwartau auf das Podium gebeten.
„Schock ist angesagt“, prophezeite Schwartau und meinte mitnichten die bremische Wirtschaft, sondern die im Schnellverfahren verordnete Radikalkur für die DDR -Wirtschaft. Doch wenn in den kommenden Jahren wirtschaftspolitisch wenig bleibt wie es war, was verändert sich dann „für die zwei kleinen Städte Bremen und Bremerhaven, die gemeinsam ein kleines Bundesland bilden“ (Haller)? Haller selbst hat im Februar schon mal vorgedacht und seine Überlegungen zu Bremens Zukunft schriftlich niedergelegt. Die Grundzüge, die er auch am Montag abend wieder vortrug: Schwerer wird's. Die Standortkonkurrenz wird sich erheblich verstärken, auch weil Bremen geographisch in eine Randlage rückt. Sein Rezept dagegen: Mehr und bessere
Infrastruktur, sprich neue Straßen und neue Gewerbegebiete. Und: Weniger „unproduktive Kosten“, sprich Sozial- und Kulturausgaben. Haller: „Wer den Standortwettbewerb nicht begreift, wird sich von der Zukunft verabschieden.“
„Haarsträubend“, kommentierte Fücks. Und: „Die neue Entwicklung ist für Sie nur Anlaß, um alte wirtschaftspolitische Positionen durchzustzen.“ Der Hallerschen Unterordnung aller gesellschaftspolitischen Probleme unter das Primat der Wirtschaft setzte Fücks, wie auch in früheren Debatten vor der Öffnung der Mauer, seine politische Utopie entgegen. Sprich: Statt Konkurenz Absprachen, zum Beispiel mit Hamburg über eine gemeinsame Hafenpolitik, mit den Umlandkommunen über eine ge
meinsame Gewerbeflächenpo litik. Bremische Wirtschaftspolitik müsse sich den Zukunftsfragen öffnen und Strategien gegen Ozonloch und die Verschmutzung von Wasser und Boden entwickeln. „Ihre Politik, Herr Haller, schreibt die negativen Entwicklungen der Vergangenheit in die Zukunft fort.“ Und wenn Haller jetzt die anstehende Rüstungskonversion als Problem in die Debatte einführe, dann habe er diese Sachzwänge früher selbst initiiert. „Initiativen, die sich mit Konversion beschäftigt haben,
wurden bislang nur bespöttelt.“
„Rüstungsproduktion wird nicht vom Bremer Senat betrieben“, konterte Haller. Wenn in den Unternehmen das Bewußtsein für neue Produkte fehle, habe die Politik keine Chance. Und von dem Vorrang ökologischer Fragen vor wirtschaftlichen Überlegungen mochte Haller auch nichts wissen. „Weltprobleme können nicht in Bremen gelöst werden. Und hier gibt es keine regionale ökologische Notsituation.“
Der DDR-Wirtschaftexperte Schwartau vernahm die lokalen
Probleme offensichtlich mit Erstaunen: „Wenn in Bremen 10.000 Rüstungsbauer arbeitslos werden, dann ist das doch nicht so schlimm. Wenn in Brandenburg 10.000 Stahlarbeiter arbeitslos werden, das wäre schlimm.“ Und für die Diskutanten, die da ihren alten Streit vor neuem Hintergrund unverändert führten, hatte er gar aufmunternde Worte bereit. „Wenn ich Bremer wäre, würde ich nicht sagen: 'Oh Gott, oh Gott‘. Exportiert in die DDR. Da kann man jetzt Geld verdienen.“
hbk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen