piwik no script img

Skandalstadt Frankfurt: Die „Mafia“ war überall

In der Bankenmetropole am Main liefen die dunklen Geschäfte der „Behördenmafia“ wie geschmiert / Affären und Skandale ohne Ende / Neue Regierung leistet Aufklärungs- und Reorganisationsarbeit / Unter CDU-Bürgermeister bediente sich der Magistrat auch selbst  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - „Wenn das so weitergeht, wird das Personal in der Verwaltung bald knapp werden“, meinte der Umweltdezernent der Stadt Frankfurt, Tom Koenigs (Die Grünen) bereits vor Jahresfrist. Damals waren, nicht zum ersten Mal, leitende Angestellte und Beamte aus diversen städtischen Behörden unter dem Verdacht der Bestechlichkeit im Amt in die Knäste eingefahren. Insgesamt 533 Ermittlungsverfahren gegen 331 städtische „Bedienstete“ und gegen 202 Unternehmer sowie deren Beauftragte hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt inzwischen eingeleitet - und täglich werden es mehr. Mitte Juni hatte Personal- und Wirtschaftsdezernent Andreas von Schoeler (SPD) eine erste Schadensbilanz vorgelegt: Die Korruptionsaffären hätten ein Loch von rund sechs Millionen Mark in den Stadtsäckel gerissen. Die seit Mitte 1989 regierende rot-grüne Koalition hat in einer gigantischen Säuberungsaktion die städtischen Ämter durchforstet, strukturelle Schwachstellen aufgedeckt und personelle Schwachstellen eliminiert, wie Lutz Sikorski, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen und Vorsitzender im neugeschaffenen Akteneinsichtsausschuß, im Gespräch mit der taz erklärte. Eine „schnelle Eingreiftruppe“ aus erfahrenen und loyalen Verwaltungsexperten soll ein Wiederaufflackern der Goldgräbermentalität in der Stadtverwaltung verhindern, die in der Wallmannschen Dekade den ideologischen Rahmen für die verbrecherischen Handlungen städtischer Mitarbeiter gebildet habe.

Was die der Bestechlichkeit verdächtigten Mitarbeiter des Straßenbauamtes, des Gartenamtes, des Stadtbahnbauamtes, der Mülldeponie Buchschlag und vor allem des Ordnungsamtes den bestechenden Unternehmern für die gezielte Auftragsvergabe insgesamt aus den Taschen gezogen haben sollen, läßt sich auch nach zwei Jahren Ermittlungsarbeit nur grob schätzen: „Da kommen einige zig Millionen Mark zusammen“, mutmaßte ein Mitglied der Sonderkommission (SoKo) der Frankfurter Kriminalpolizei, die seit Monaten im Auftrag der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsarbeit leistet. Alleine der Ex-Leiter des Baubezirks Nord, der für die Vergabe von Arbeiten für die Instandhaltung des Straßennetztes in seinem Bezirk zuständig war, zockte insgesamt 1,1 Millionen Mark ab. Dazu kamen Sonderleistungen für die Vergabe besonders profitabler Aufträge in Form von nichtmonetären Zuwendungen.

So bezog der 61jährige Amtsleiter jahrelang kostenlos Heizöl, durfte seinen Urlaub in einer für ihn reservierten Villa in Italien verbringen oder auf einer 400.000-Mark -Yacht durchs Mittelmeer schippern. Auch die Leiter der anderen drei Frankfurter Baubezirke sahnten bei der Auftragsvergabe kräftig ab. Erste Urteile wurden bereits im Bestechungsprozeß gegen städtische Bedienstete der Mülldeponie Buchschlag, die für das gebührenfreie Durchwinken von Müllfahrzeugen privater Unternehmer und für Manipulationen am Müllcomputer reichlich entschädigt wurden, gesprochen.

So wirtschaftete etwa der 62jährige Leo R. eine halbe Million Mark in die eigene Tasche. Davon kaufte er sich mehrere Appartements auf Teneriffa. Sein 49jähriger Kollege Ernst B. hortete das Bestechungsgeld dagegen auf seinem Konto. Der sparsame Ernst, der inzwischen 124.000 Mark in den chronisch leeren Stadtsäckel zurückgezahlt hat, wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Leo R. mußte gar für sechs Jahre hinter Gitter. Noch immer laufen zwölf Ermittlungsverfahren gegen weitere Bedienstete der Mülldeponie. Ermittelt wird auch gegen die Verantwortlichen der fünf begünstigten Unternehmen, die der Stadt etwa drei Millionen Mark an Müllgebühren schulden. Doch auch der Leiter des Straßenbauamtes Nord und der oberste Müllmann aus Buchschlag haben es nicht geschafft, den Chef des Gartenbauamtes, „Don Alfonso Weil“, von der Spitze der Einkommenshitliste der Frankfurter Skandalnudeln zu verdrängen. Dem „Millionär“ Weil war es in 20 Jahren Amtszeit gelungen, sich Immobilien im Wert von 1,4 Millionen Mark zu kaufen, ein Barvermögen von 850.000 Mark anzuhäufen und „Geschenke“ im Gesamtwert von 700.000 Mark abzustauben. Weil sitzt seit Ende 1988 für vier Jahre im Knast, denn das Frankfurter Landgericht kam nach wochenlanger Verhandlung zu dem Schluß, „daß dies alles mit einem Monatsverdienst von 5.000 DM brutto nicht anzuschaffen gewesen ist“.

Doch im Frankfurt der christdemokratischen Oberbürgermeister Wallmann und Brück wurde nicht nur munter hinterzogen und unterschlagen. Geschäfte machten städtische Bedienstete auch mit streng vertraulichen Papieren aus dem Umfeld des Magistrats. So bescheinigte die Frankfurter Polizei schon Anfang dieses Jahres der gesamten Stadtverwaltung, „kriminell unterwandert“ zu sein. Beispielsweise wurde den Bordellbrüdern Beker, denen aus dem Ordnungsamt heraus Konzessionen für den Betrieb illegaler Spielhöllen zugeschanzt wurden, Informationen verkauft, die den der „Mafia zugerechneten Großganoven“ einen gezielten Ankauf von Grundstücken und Häusern in bestimmten Stadtvierteln ermöglichten, für die sich potente Investoren interessierten. Auch Kopien von Briefen aus dem OB-Büro wurden bei einer Razzia in der Beker-Villa gefunden. Millionengewinne hatten die Bekers so mit gezielten Immobiliengeschäften scheffeln können. Und für diese gezielten Informationen flossen „Schmiergelder in erheblichem Umfang“ (Kripo) zu den städtischen Informanten zurück.

Am Parlament vorbei machte der CDU-Magistrat auch selbst Geschäfte mit der Halbwelt und beteiligte sich am Immobilien -Verschiebebahnhof im Zuge der geplanten Neuregelung der Sperrgebietsverordnung. Dabei wurde das Kontrollorgan Stadtparlament, dem Anträge zu Grundstücksankäufen und -verkäufen der Stadt zur Abstimmung hätten vorgelegt werden müssen, geschickt umgangen. Brisante Immobiliengeschäfte wickelten die Verantwortlichen im CDU-Magistrat über eine bereits 1531 gegründete Stiftung „Allgemeine Almosenkasse“ ab, die sich seit dem späten Mittelalter um „gefallene Mädchen“ kümmert. Der Akteneinsichtsausschuß des neuen Stadtparlaments ist zur Zeit dabei, einen abschließenden Bericht über die „Geldwaschanlage Almosenkasse“ (Sikorski) zu erstellen, der nach der Sommerpause der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.

Noch sieht Personal- und Wirtschaftsdezernent von Schoeler allerdings keinen Anlaß zur Entwarnung im Kampf gegen die Korruption, auch wenn der neue Magistrat umfangreiche Gegenmaßnahmen ergriffen habe. Auch Sikorski ist klar, daß präventive Maßnahmen nur bedingt Einfluß auf die „kriminelle Energie“ einzelner haben: „Was wir tun konnten, haben wir getan.“ Daß der jüngste Korruptionsskandal um die Frankfurter „Führerschein-Mafia“, in den Beamte und Angestellte aus dem Straßenverkehrsamt und der Polizei, Anwälte, Psychologen und ein Amtsarzt verwickelt sind, überhaupt aufgedeckt werden konnte, führt Sikorski auf das angeordnete Revirement in den einzelnen Ämtern und das im Zuge dieser Umbesetzungen und Neuregelungen entstandene „neue Vertrauen“ der Angestellten und Arbeiter in die Stadtregierung zurück. Bewährt habe sich auch die Einführung der „doppelten Zeichnung“ gewichtiger Akten und Unterlagen, wobei immer ein Verantwortlicher aus einer anderen Abteilung unterschreiben müsse - alles nach dem alten Lenin-Motto: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Eine Anordnung aus den Zeiten des alten CDU-Magistrats, die nach der Aufdeckung der ersten Korruptionsskandale Ende 1988 erlassen wurde, hat allerdings auch die neue Stadtregierung übernommen. Als „Geschenke“ dürfen städtische Bedienstete noch immer nur Kugelschreiber oder Kalender annehmen. Böse Zungen behaupten, daß eine Mafia aus städtischen Angestellten inzwischen den westeuropäischen Kugelschreibermarkt beherrsche.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen