: Truppenreduzierung noch 1990?
■ Genscher will der UdSSR ihre Zustimmung zur gesamtdeutschen Nato-Zugehörigkeit erleichtern
Bonn (ap/taz) - Die Zustimmung der Sowjetunion zur Regelung der äußeren Aspekte des Vereinigungsprozesses will Außeminister Genscher auf einem neuen Weg erreichen. Wenn Gorbatschow unbedingt zu seinem Ja-Wort zur deutschen Nato -Mitgliedschaft eine Festlegung auf eine Obergrenze für die künftige deutsche Armee braucht, müssen sich die Unterhändler von Nato und Warschauer Pakt in Wien eben beeilen und noch in der ersten, jetzt laufenden Verhandlungsrunde die Truppenstärken für alle Staaten innerhalb Zentraleuropas festlegen. Damit sei dann auch die Gesamtdeutsche Truppenstärke - eingebunden in den Gesamteuropäischen Abrüstungsprozeß - vom Tisch. In einem Interview mit der „Deutschen Welle“ verkündete der trickreiche Genscher, es gehe nun darum, „daß wir in Wien zu Vereinbarungen kommen - und zwar schon im ersten Abkommen, das noch vor dem KSZE-Gipfel abgeschlossen werden soll -, Vereinbarungen über Truppenreduzierungen, die nicht nur die beiden Großmächte, wie bisher vorgesehen, betreffen, sondern auch andere Bündnispartner, und auch das vereinigte Deutschland“.
Was bislang aus Zeitgründen immer für unmöglich erklärt wurde, nun soll es doch gehen. Der eigentliche Dreh Genschers ist die Einschränkung auf den sogenannten „zentralen Bereich“. Dazu gehören in der Nato außer der BRD noch Dänemark und die Beneluxstaaten, im Warschauer Pakt außer der DDR noch Polen, Ungarn und die CSFR. Von keinem dieser Staaten ist ein nennenswerter Widerstand gehen eine Truppenreduzierung zu erwarten, aber Kohl und Genscher können behaupten, die Singularisierung Deutschlands werde verhindert.
Ob dieses Konzept aufgeht, wird sich in der kommenden Woche auf dem Nato-Gipfel in London herausstellen. Bis dahin will Genscher seine Partner soweit gebracht haben, seine Idee als offiziellen Nato-Vorschlag zu präsentieren. Bliebe nur noch die Frage, welchen Umfang denn die zukünftge deutsche Armee haben soll. Schewardnadse sprach von 200.000 bis 250.000 Mann. In Bonn hat man ausgerechnet, daß der Bestand der bundesdeutschen Berufssoldaten nur zu halten ist, wenn die Gesamtdeutsche Armee -bei massivem Abbau der NVA- mindestens 400.000 Mann aufweist. Das Ergebnis dürfte irgendwo in der Mitte liegen. Dann aber, so Bonn, müssen die Sowjets die gesamtdeutsche Nato-Mitgliedschaft akzeptieren.
JG
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