: Eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland
■ US-Präsident Bush bietet den lateinamerikanischen Ländern eine Freihandelszone an, die den gesamten Kontinent umfassen soll / Schulden bei der US-Regierung sollen erlassen werden / Alte Hegemonialmacht will ihren traditionellen Hinterhof wieder fester an sich binden
Berlin (taz/dpa) - Die Weltwirtschaft wird neu strukturiert, und der Kampf um die Einflußzonen hat begonnen. Am Mittwoch schlug US-Präsident George Bush den lateinamerikanischen Ländern die Bildung einer Freihandelszone vor, die von Alaska bis Feuerland den gesamten amerikanischen Kontinent umfassen soll. Um den traditionellen „Hinterhof“ der USA wieder fester an die alte Hegemonialmacht zu binden, bot Bush sogar gezielte Hilfen beim Abbau der Auslandsschulden und bei der Förderung privater Investitionen an. So soll die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) ein neues Programm zur Förderung ausländischer Investitionen finanzieren, verbunden mit Strategien zur Verringerung der lateinamerikanischen Auslandsschulden. Bei der US-Regierung selbst ist Lateinamerika mit 12 Milliarden Dollar verschuldet. Einen Erlaß von 7 Milliarden stellte Bush in Aussicht, verbunden mit dem Angebot, auf die restlichen 5 Milliarden zu verzichten, wenn eine entsprechende Summe für Umweltschutzprojekte eingesetzt werde.
Bushs Initiative, die auch auf dem Weltwirtschaftsgipfel vom 9. Bis 11. Juli in Houston vorgestellt werden soll, ist offensichtlich eine Reaktion auf die Herausbildung starker wirtschaftlicher Regionen und die Verlagerung wirtschaftlicher Machtzentren nach Europa und in den ostasiatischen Raum. Die amerikanische Freihandelszone, die die USA, Kanada, Lateinamerika und die Karibik einschließen soll, würde einen Markt mit rund 700 Millionen Verbrauchern und einem Sozialprodukt von insgesamt sieben Billionen Dollar schaffen - größer als Europa und die Sowjetunion zusammen.
Nach wie vor sind die USA wichtigster Handels- und Wirtschaftspartner der lateinamerikanischen Länder, aber ihre Bedeutung hat im vergangenen Jahrzehnt stark abgenommen. Da die US-Banken am stärksten in der Schuldenkrise Lateinamerikas verstrickt waren, waren auch die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA insgesamt mehr in Mitleidenschaft gezogen, als die zu anderen Ländern. Vor allem japanische Banken und Unternehmen sprangen in den letzten Jahren mit großen Summen in die Bresche, die die US -Wirtschaft in Lateinamerika hinterlassen hat.
Eine andere Frage ist, wie realistisch der Vorschlag einer Freihandelszone in der von einem gigantischen sozialen und wirtschaftlichen Gefälle geprägten Regierung überhaupt ist. Bisher ist lediglich zwischen Kanada und den USA der freie Handel vereinbart. Zwischen Mexiko und den USA werden noch in diesem Jahr offizielle Verhandlungen beginnen. Aber die lateinamerikanischen Länder befürchten, daß ihre eigenen Industrien von der ungeschützten Konkurrenz der mächtigen US -Konzerne erdrückt würden. Das bißchen wirtschaftliche Selbständigkeit, das seit den 60er Jahren durch eine Politik der Schutzzölle und Importbeschränkungen erreicht wurde, wäre durch die Freihandelszone bedroht. Auch für die kleinbäuerliche Landwirtschaft Lateinamerikas wäre der freie Handel eine Katastrophe. Denn neben den Produkten der Chemie - und der Pharma-Industrie wollen die USA vor allem ihre Agrarüberschüsse in Lateinamerika loswerden.
Andererseits gilt mittlerweile in vielen südamerikanischen Ländern die Politik der „Importsubstitution“ als gescheitert, mit der jahrzehntelang versucht wurde, die schwachen nationalen Industrien vor der übermächtigen Konkurrenz der Industrieländer zu schützen. Argentinien und Brasilien versuchen heute ohnehin, ihre wirtschaftlichen Probleme durch eine Liberalisierung des Außenhandels in den Griff zu bekommen. Erst am vergangenen Dienstag verkündete die brasilianische Regierung ein Programm zur radikalen Liberalisierung des Außenhandels: Schutzzölle sollen abgebaut, Subventionen für die nationale Industrie gestrichen werden. Diese wirtschaftliche Öffnung nach außen ist ein Versuch, die nationalen Monopole zu brechen, die sich hinter dem Schutz der Zollmauern gebildet haben, und die zumindest für einen Teil der unkontrollierbaren Inflation in Lateinamerika verantwortlich gemacht werden.
Si
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen