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Ämterteilung Ausweg für Gorbatschow?

■ Der neue Entwurf eines Parteistatuts sieht eine Ämtertrennung an der Parteispitze zwischen Vorsitzendem und Erstem Sekretär vor / Diskussionen sollen erlaubt, Fraktionsbildung weiter verboten sein / Ligatschow als Sekretär vorgeschlagen / Heute Entscheidung über Parteitagstermin

Moskau (ap/taz) - Der Entwurf eines neuen Statuts für die KPdSU ist am Donnerstag in der 'Prawda‘ veröffentlicht worden. Das Statut soll vom 28. Parteitag angenommen werden. Wichtigstes Element des Entwurfs ist die Ämtertrennung zwischen dem Vorsitzenden der Partei und dem Ersten Sekretär, der die Parteibeschlüsse umsetzen und die laufende Führungsarbeit koordinieren soll.

Für Gorbatschow eröffnet diese Konstruktion die Möglichkeit, sich auf den Posten des Parteipräsidenten zurückzuziehen und dann schrittweise vom Apparat zu lösen. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, daß die konservative Apparat-Fraktion, die den eben beendeten Gründungskongreß der russischen KP beherrscht hatte, sich des Sekretariats bemächtigt und damit die gesamte Partei unter ihre Kontrolle bringt. Der Chef der „Konservativen“, Jegor Ligatschow, ist von seinen Anhängern für den Job des Ersten Sekretärs vorgeschlagen worden. Schon in der frühen Sowjetunion hatte es zunächst neben dem Parteivorsitzenden einen Generalsekretär gegeben, ein Amt, von dem aus Stalin seine Alleinherrschaft vorbereitet hatte.

Das Statut postuliert einen „humanen und demokratischen Sozialismus“ und fordert die Kommunisten dazu auf, um die politische Führerschaft in der Gesellschaft mittels freier Wahlen zu kämpfen. Diskussionen und Referenden in der Partei sollen erlaubt sein, Fraktionsbildungen bleiben weiterhin verboten. Die Parteien der einzelnen Unionsrepubliken sollen selbständig werden, ihnen soll - allerdings auf der Basis des KPdSU-Programms - erlaubt sein, eigene Parteidokumente zu beschließen. Das ZK der Partei soll in ein Präsidium umgewandelt werden, dessen Arbeit vom Vorsitzenden der Partei geleitet wird.

Von den entschiedenen Demokraten innerhalb der KPdSU ist der Entwurf scharf zurückgewiesen worden. Er sei, wie der Sprecher des Demokratischen Forums erklärte, „völlig vom alten Geist durchdrungen“. Sein Sprecher Lyssenko drohte damit, daß die Demokraten die KPdSU verlassen würden, wenn sie ihre Vorstellung von der Umwandlung der KPdSU in eine parlamentarisch-demokratische Partei nach dem Vorbild des Westens nicht durchsetzen könnten. Nach eigener Einschätzung verfügen die radikalen Demokraten über etwas mehr als 10 Prozent Anhänger unter den 19 Millionen Kommunisten. Die heutige Sitzung des ZK wird entscheiden, ob der Parteitag wie vorgesehen am Montag stattfindet.

c.s.

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