: OsterChorsteinway in progress
■ „Chormusik aus der Renaissance und Romantik“, alte Musik in neuen Schläuchen
Als sich kurz nach 22 Uhr Publikum und ChoristInnen schwätzend und vom Singen angetuned doppelseitig den Ostertorsteinweg runterergossen, da war der Titel des Konzertes und/oder der Name des Chores stadtbildsichtbar geworden: OsterChorsteinway. Ob es das schöngemäldete Plakat, sein swingendes Motto, Familienanhänglichkeit an die „Chorwerkstatt“, Neugier auf selten gesungene „Chormusik aus Renaissance und Romantik“ gewesen war, oder von allem ein bißchen, fest steht: der Vortragssaal der Kunsthalle war für all die schlangestehenden Hörgierigen zu klein.
Vor einem dreiviertel Jahr hatte sich Chorleiter Manfred Seidl von der linken Großfamilie der „Chorwerkstatt“ getrennt, um einen neuen, zunächst kleineren Chor aufzubauen, mit dem er so diszipliniert arbeiten kann, wie es ihm allmählich unabdingbar geworden war. „Das muß man ja zugeben,“ sagte nach diesem ersten Konzert des neuen Chores einer von den „Ehemaligen“, der hier nicht mittun kann,
„die singen besser als der alte Chor.“ Sprach's aus vielen unvernarbten Wunden. Familien ist schwer entkommen.
In den neuen Chor sind etliche SängerInnen aus dem alten geströmt. Mit an die 60 Mitgliedern ist der kaum kleiner als die Ur-„Chorwerkstatt“. Er teilt auch deren Schwächen, die spärlich besetzten Baßstimmen und einen übermächtigen Sopran. Wenn der dann bei Fortepassagen auch noch in die Vollen geht, dann ist und war das much to much. Manchmal, so vermute ich, singen gerade die laut, die, neben den vielen schönen Stimmen, auch hart singen. Diesen Eindruck hatte ich u. a. bei dem Madrigal von Gesualdo „Mentre Madonna il lasso fianco posa“, das mit kleiner Besetzung von nur je 10 Frauen-und Männerstimmen gesungen wurde. Der Sopran drückte deshalb dem Chor etwas unnötig Hartes, Unbiegsames auf.
Gesungen wurden vor der Pause zumeist Madrigale der Spätrenaissance. Die Romantiksektion nach der Pause leitete ein
weibliches Trio mit einem g-moll Trio von Clara Schumann ein, (ganz schön das Violincello von Angelika Jerzewski), dann: „Quartette für vier Solostimmen“ von Johannes Brahms, und zum Schluß Psalm 2 „Warum toben die Heiden“ aus Felix Mendelssohn- Bartholdys Opus 78. Dazu und daneben ein sorgfältig gemachtes Programmheft.
In dem finden sich die italienischen und der französische Madrigaltext übersetzt, die Madrigalkomponisten werden vorgestellt, (inclusive Carlo Gesualdos Abschlachten von Frau und in flagranti-Nebenbuhler) und auf schlichte Art wird verklickert, was das Neue ist, das sich in die Renaissance-Madrigale mischt: Textverständlichkeit und Ausdruck von und Appell an Gefühl. Beides hatte Choräle der Protestanten massenwirksam gemacht. Musikalisch hatte dabei die herzergreifende „Homophonie“ die Polyphonie, d.h. das Nebeneinander von selbständigen Stimmen, ersetzt. Die Madrigalkomponisten, oft der beginnenden Gegenreformation verhaftet, haben
der musikalischen Erfindung Rechung tragen müssen. Sie haben die Stile gemischt und verbunden, wie dann 200 Jahre später Men
delssohn und Brahms wieder. Diesen Bogen schlägt das erhellende Programmheft, gehört habe ich ihn nicht. Gehört habe ich ei
nen „Chor in progress“, ehrgeizig, unfertig, musikalisch neugierig, spannend.
Uta Stolle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen