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Maradona von allen guten Geistern verlassen

■ Argentinien quält sich gegen zehn Jugoslawen ins Halbfinale / Entscheidung im Elfmeterschießen

Berlin (taz) - Langsam ist es ein Jammer mit dieser argentinischen Mannschaft. Von Spiel zu Spiel sinkt ihre Leistungskurve weiter nach unten, während ihr Dusel umgekehrt proportional zunimmt und sie nun als eines der schlechtesten Teams, das sich bei dieser WM auf den Rasen gewagt hat, bereits das Halbfinale erreicht hat.

Argentiniens Fußball steht und fällt mit Maradona, doch auch der scheint inzwischen am Ende seines Lateins angelangt zu sein. Fußkrank und vereinsamt irrt er auf der Suche nach nicht vorhandenen Anspielmöglichkeiten über den Platz und weist deutliche Zeichen einer körperlichen und mentalen Müdigkeit auf, wie man sie in seinen schlechtesten und fettleibigsten Zeiten nicht an ihm gesehen hat. Bei einigen Dribblings ließ er sich fast widerstandslos den Ball abjagen, und als er kurz vor Schluß der Verlängerung die unverhoffte Gelegenheit zum Siegtor bekam, sprang die ihm sonst so hörige Lederkugel ungehörig weit vom Fuß ab, und die Chance war dahin. Das Match endete 0:0 und, fast vorhersehbar, versagte Maradona, der schon letztes Jahr im vom SSC Neapel gewonnenen UEFA-Cup-Elfmeterschießen gegen Sporting Lissabon seinen Strafstoß vergeben hatte, auch diesmal. Von allen zehn angetretenen Schützen machte er die kläglichste Figur.

Allerdings ist ihm sein mieser seelischer Zustand kaum zu verübeln. Wäre er im Verein von Mitspielern ähnlichen Kalibers umgeben, würde Neapel seit langem in der C-Klasse spielen. Die Akteure der argentinischen Nationalelf weisen in etwa die geistige Behendigkeit von Dinosauriern auf. Bis die Botschaft ihr Gehirn erreicht hat, daß Maradona am Ball ist und möglicherweise gleich einen raffinierten Paß spielen könnte, hat der dies längst getan und der Ball trullert gemächlich ins Leere, weil niemand gestartet ist. Wenn sie sich doch mal bewegen, tun sie es meist mit der Gemächlichkeit einer westfälischen Bergschnecke. Symptomatisch eine Szene am Anfang, als Basualdo dem letzten Mann der Jugoslawen den Ball abnahm, sich in aller Gemütsruhe dreimal um die eigene Achse drehte, bis auch wirklich jeder jugoslawische Abwehrspieler wieder seinen Posten eingenommen hatte, und dann einen Querpaß spielte.

Der flinke Caniggia war auschließlich bestrebt, Freistöße zu schinden, was in der Regel mißlang, und das Gestocher, welches Calderon, Burruchaga und andere vollführten, wenn sie mal von Maradona freigespielt wurden, hätte jeden Kreisklassentrainer zu unverzüglicher Auswechslung bewogen. Den Höhepunkt erreichte Olarticoechea, als er in bester Schußposition glatt am Ball vorbeisäbelte. Kurz vor Schluß der Verlängerung rächte sich dann das heiß debattierte Handspiel Maradonas gegen die Sowjetunion, als Burruchaga den Ball, vermutlich ohne Hilfe seiner Hand, mit dem Bauch ins Tor drückte, der Schweizer Schiedsrichter Röthlisberger es aber nicht wagte, den Treffer anzuerkennen.

Abgesehen von dieser Szene, waren die Jugoslawen wesentlich gefährlicher, und ohne die Dummheit von Sabanadzovic (siehe „Gurke des Tages“) hätten sie die Partie sicherlich gewonnen. Doch der Maradona-Bewacher säbelte seinen Schützling in der 31.Minute am Sechzehnmeterraum um und bekam zurecht die rote Karte, nachdem er kurz zuvor bereits gelb gesehen hatte, weil er beim Freistoß partout nicht weit genug weggehen mochte. Während der restlichen neunzig Minuten fiel es aber trotz der unmenschlichen Hitze nie auf, daß die Jugoslawen einen Mann weniger auf dem Feld hatten, bei personeller Gleichheit hätten sie die wacklige argentinische Abwehr vermutlich in Grund und Boden gespielt.

Als sich der Schatten über immer größere Teile des Rasens ausbreitete, wurde auch Dragan Stojkovic stetig stärker. Der 35jährige Safet Susic und sein hastiger, nervöser Nachfolger Savicevic hatten es nach Stojkovic-Vorlagen mehrfach auf dem Fuß, ihr Team ins Halbfinale zu schießen. Stojkovic war es aber auch, der im Elfmeterschießen den Untergang einleitete, als er seinen Strafstoß an die Latte schmetterte. Da half es nichts mehr, daß Maradona versagte und Troglio den Pfosten traf, Brnovic und ausgerechnet Faruk Hadzibegic, der vorher eine große Leistung gezeigt hatte, machten das unverdiente Unglück der Jugoslawen perfekt.

Maradona darf nun zum Halbfinale gegen Italien nach Neapel zurückkehren, und es ist von Herzen zu hoffen, daß sich sein Knöchel noch einmal erholt, und daß wenigstens einige der guten Geister, die sonst seinem Spiel innewohnen, zurückkehren, auf daß die Welt nicht noch einmal ein solch trauriges Schauspiel wie dieses Viertelfinale gegen Jugoslawien erleben möge.

Matti

Argentinien: Goycoechea - Simon - Serrizuela, Ruggeri Giusti, Basualdo, Burruchaga, Calderon (87. Dezotti), Olarticoechea (52. Troglio) - Caniggia, Maradona

Jugoslawien: Ivkovic - Hadzibegic - Jozic, Spasic - Brnovic, Prosinecki, Vulic, Susic (63. Savicevic), Stojkovic, Sabanadzovic - Vujovic

Zuschauer: 39.000

Tore im Elfmeterschießen: 1:0 Serrizuela, Stojkovic (Latte), 2:0 Burruchaga, 2:1 Prosinecki, Maradona (gehalten), 2:2 Savicevic, Troglio (Pfosten), Brnovic (gehalten), 3:2 Dezotti, Hadzibegic (gehalten).

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