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Der Medienkoloß will nicht sterben

■ Das DDR-Fernsehen im Umbruch / Michael Albrecht, Intendant auf Abruf, setzt auf die reinigenden Kräfte des Marktes / Personalrat schwört auf Selbstreinigung / DFF als Mehrländeranstalt

Von Ute Thon

Rasenmäher summen, es riecht nach frisch geschnittenem Gras. Zwischen blühenden Rosensträuchern reißen Bauarbeiter das Erdreich auf. Direkt daneben eine Satellitenschüssel. Putz bröckelt von den Fassaden. Eine Gruppe Japaner photographiert. Hinter der Kantine stapeln sich kistenweise leere Limonadenflaschen. Der betriebseigene Blumenladen ist geöffnet. Über die Freitreppe schwebt eine Frau mit flammend rotem Haar. War das nicht Antje Garden, die Ansagerin...? In Adlershof, dem monolithischen Sitz des DDR-Fernsehens am Rande Berlins, geht alles seinen geschäftigen Gang. Nichts deutet darauf hin, daß der riesige Studiokomplex in Auflösung begriffen wäre. Trotzdem sorgt man sich dort um die Zukunft.

Ich bin mit Michael Albrecht verabredet. Er leitet momentan die Fersehanstalt, nachdem der vom Ministerpräsidenten für das Amt des Generalintendanten vorgesehene Theatermann Gero Hammer vom Medienkontrollrat nicht bestätigt wurde. Auf dem Weg zum Chefzimmer begegne ich zwei Fensterputzern. Einer hat gehört, daß RTL plus den maroden Sender übernehmen wolle. „Dann bekommen wir ja jetzt auch all diese Sexprogramme“, meint schmunzelnd der zweite. Hinter dem breitem Schreibtisch, von dem aus einst Heinz Adameck die staatliche TV-Propagandamaschine leitete, sitzt jetzt ein Kameramann. „Eigentlich mehr aus Zufall“, wie er selbst versichert.

Michael Albrecht kam 1976 als Volontär nach Adlershof. Zwischendurch absolvierte er an der Filmhochschule eine Ausbildung als Kameramann, und seit 1981 ist er als solcher beim DDR-Fernsehen tätig. „Ich bin hier nie etwas anderes gewesen“, erklärt er nicht ohne Stolz. Er war und ist parteilos. Im letzten Herbst vertrat er seinen Berufsverband in der frisch-gegründeten Mediengesetzgebungskommission. Nun trägt er selbst die Last der damals gefaßten Beschlüsse. Der schwerfällige ehemals staatsgelenkte Medienkoloß soll in eine moderne öffentlich-rechtliche Sendeanstalt nach westlichem Vorbild umgebaut werden.

Sein Vorgänger in der Übergangszeit, Hans Benzien, ist an dieser Aufgabe gescheitert. Sein halsstarriges Bemühen, Adlershof in einen eigenständigen dritten nationalen Sender für Gesamtdeutschland zu verwandeln war den Regierenden in Ost und West ein Dorn im Auge. Vielleicht war es aber auch nur sein Parteibuch. Benzien ist PDS-Mitglied. Nach seiner Abberufung durch den Ministerpräsidenten, wurde Albrecht, vom Medienministerium mit der kommissarischen Leitung des Deutschen Fensehfunks (DFF) betraut. Kein leichtes Unterfangen in Anbetracht des politischen Drucks, unter dem die Reformdebatten geführt werden, mit der Angst der Fernsehmitarbeiter vor Arbeitsplatzverlust im Nacken und angesichts des Pleitegeiers, der über dem Unternehmen schwebt.

Das wichtigste Argument ist ein finanzielles

Albrecht nimmt's gelassen. In Jeans und offenem Hemd wirkt der 36jährige Bartträger eher wie der Antityp eines machtbewußten Fernsehintendanten. Er fühlt sich dem föderalen Gedanken einer neuen Rundfunkordnung ganz und gar verpflichtet. Obwohl die Länderparlamente im Herbst selbst entscheiden können, ob sie sich jeweils eigene Landessender aufbauen wollen, hofft er auf die Vernunft der politisch Verantwortlichen. Das entscheidende Argument sei ein finanzielles. Die zu erwartenden Gebühreneinnahmen seien insgesamt zu gering, um vier oder fünf Landesanstalten zu gründen.

Darum rechnet Albrecht damit, daß sich die Länder in einem Staatsvertrag darauf einigen, den DFF in Adlershof als eine Mehrländeranstalt zu erhalten. Das erste Programm könnte dann als DDR-weiter länderübergreifender Sender bestehen bleiben, während auf der zweiten Frequenz unterschiedliche Regionalprogramme laufen. Ob man sich dann als zehntes Mitglied der ARD anschließt, müßten die Länder selbst entscheiden. Zur Zeit reist eine Delegation aus Adlershof durch alle Länder, um Überzeugungsarbeit zu leisten. „Das gelingt uns ganz gut“, deutet Albrecht mit verschmitztem Lächeln den Stand der Verhandlungen an.

So abwegig sind seine Vorstellungen ja auch nicht, steht doch in Adlerhof ein Studiokomplex, In dem das ZDF gleich dreimal reinpassen würde: sechs große Produktionsstudios, von denen drei allein für Kinder-, Jugend- und Bildungsprogramme genutzt wurden. 8.000 festangestellte Mitarbeiter poduzierten bislang immerhin zwei Vollprogramme. Und letztes Jahr bewies der für seine starren Strukturen bekannte Apparat plötzlich sogar erstaunliche Flexibilität. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein internationales Studio eingerichtet, aus dem ausländische Journalisten ihre Berichte über den Wandlungsprozeß der DDR in über 40 Länder schicken durften. Live-Übertragungen, Studiodiskussionen und flinke Reportagen gehörten plötzlich zum Tagesgeschäft. Eine vergleichbare Infrastruktur müßte in den zukünftigen Ländern der DDR erst mit großen finanziellen Aufwand geschaffen werden.

Trotzdem glaubt in Adlershof keiner mehr, das alles so bleiben kann, wie es ist. Denn international wettbewerbsfähig ist man dort nur wegen der niedrigen Personalkosten. Intendant Albrecht denkt jedoch vorerst nicht an eine rigorose Entlassungswelle, wie sie jüngst im DDR-Hörfunk angekündigt wurde. Man müsse die Verhältnisse langsam an den Markt heranführen. Dabei denkt er in erster Linie an die Umwandlung bestimmter Bereiche in privatwirtschaftliche Unternehmen, zum Beispiel die betriebseigenen KFZ-Werkstätten, den riesigen Kantinenbereich oder die Ferienobjekte. Ein Teil des künstlerisch-technischen Personals soll in Zukunft, wie auch bei anderen Fernsehanstalten üblich, durch Zeitverträge gebunden werden.

Kontrolleure werden arbeitslos

Und was wird aus den unverbesserlichen Stalinisten? „Bestimmte Berufsgruppen, die nur mit dem Kontrollieren und Zensieren beschäftigt waren, wird man nicht mehr brauchen“, meint Albrecht. Das träfe allerdings nicht so sehr die Macher vor Ort, sondern eher die, die sowieso nie etwas Richtiges gemacht haben.

Am schwarzen Brett des Personalrates hängt seit Wochen ein Anschlag, in dem alle Mitarbeiter aufgefordert werden, Einwände gegen ihre Vorgesetzten vorzubringen. Ein Kriterienkatalog bietet Denkanstöße: „Hat der Leiter in der Vergangenheit maßgeblich im Sinne politische Zensur in Sendungen eingegriffen? Hat der Leiter auf der Basis seiner SED-Mitgliedschaft berufliche Vorteile verschafft? Gibt es Gründe, die daran zweifeln lassen, daß der Leiter dem Prozeß der Neubestimmung des Programmprofils gewachsen ist? Stichtag für den Kehraus von innen war der 1. Juli. Eine Schiedskommission, bestehend aus Personalratsmitgliedern, Intendanten, Justiziar und einem Unparteiischen, befindet derzeit über die vorgebrachten Klagen. Einige der Leiter mußten aufgrund dieses Procederes schon ihren Hut nehmen, erklärt Personalratsvertreter Gerhard Bombal im Brustton der Überzeugung.

Darüber hinaus schlägt die Mitarbeitervertretung vor, allen ehemaligen Mitgliedern des staatlichen Rundfunkkomitees, die noch immer mit Leitungsaufgaben betraut sind, diese Verantwortung auf Dauer zu entziehen, denn „das Ausmaß der politisch-moralischen Mitschuld an der Deformation unseres Fernsehens sei durch die Komiteemitgliedschaft hinreichend bewiesen“. Auch alle Bildschirmpersönlichkeiten, „die gezwungen sind, heute politisch eindeutig das Gegenteil von dem zu vertreten, was sie vor dem 9. November ebendort vertraten“, sollten möglichst schnell von der Mattscheibe verschwinden, um dem Zuschauer den Wandlungsprozeß sichtbar zu machen. Damit begegnen die DDR-Fernsehmacher dem vor allem von westlichen Medienpolitikern immer wieder erhobenen Vorwurf, in Adlershof säßen immer noch die selben Köpfe vor und hinter der Kamera, wie zu Honeckers Zeiten. Wieviele alte Genossen schon gehen mußten, verriet Personalrat Bombal allerdings nicht.

Für Intendant Albrecht müssen bei der zukünftigen Personalplanung auch qualitative Maßstäbe eine größere Rolle spielen. „Früher ging so ziemlich alles über den Sender“, doch wer nur Mittelmaß produziert, für den werde es in Zukunft keinen Platz mehr geben, hob er in bezug auf die sich verschärfende Wettbewerbssituation hervor.

Noch allerdings befindet sich das DDR-Fernsehen im Schwebezustand, in dem einmal getroffene Entscheidungen allzuschnell hinfällig werden. Letzte Woche verabschiedete der Medienkontrollrat jedenfalls das Statut des DFF, in dem seine Rolle als zentrale Mehrländeranstalt mit föderalen Strukturen festgeschrieben wird. Ob die Länder auf dem Gebiet der DDR dieser Konstruktion per gemeinsamen Staatsvertrag zustimmen werden, ist weiterhin ungewiß. Einstweilen gibt sich Albrecht optimistisch: „Es gibt hier keinen Stillstand.“ Und wann gibt es einen festen, demokratisch legitimierten Intendanten, will ich abschließend von ihm wissen. Da müsse ich wohl den Ministerpräsidenten fragen, antwortet Albrecht mit vielversprechendem Lächeln. Schließlich habe der immer noch das Berufungsrecht. Und welcher Wunschkandidat schwebe ihm vor, vielleicht sogar er selber? Das Wohlwollen der Belegschaft wäre ihm allemal sicher, nur ob die Politiker den undogmatischen Kameramann mögen? Albrecht lehnt sich zurück und lächelt verlegen. „Das weiß ich nicht.“ Aber: „Es könnte sein“.

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