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Kaltes High-Tech-Märchen

■ Zur Premiere des Lloyd-Webber-Musicals

„Das Phantom der Oper“ in Hamburg

Von Michael Berger

Es gäbe gute Gründe, vom Phantom der Oper auf der Wirtschaftsseite zu berichten. Das Musical-Unternehmen, das jetzt in Hamburg seine deutsche Filiale eröffnet hat, wird nicht nur von seinen mehr oder weniger militanten Gegnern als Ausbund übelsten Kommerztrachtens bekämpft, sondern auch von der hanseatischen Kaufmannschaft unverblümt und zuvörderst als Aufwertung des Wirtschaftsstandorts Hamburg begrüßt.

Mindestens fünf Jahre lang soll das Stück des britischen Serienkomponisten Andrew Lloyd Webber en suite im eigens errichteten Theater „Neue Flora“ abgespielt werden: Theater als Renditeobjekt. Musical-Händler Friedrich Kurz, ein schlitzohriger Schwabe, der bereits mit anderen Webber -Elaboraten (Cats im Hamburger Operettenhaus, Starlight Express in Bochum) seinen Schnitt gemacht hat, zeigt den Hamburgern einmal mehr, wie erfolgreiches Kulturmanagement funktioniert - Fritz hat das in den USA gelernt. Zahnärzte und andere Zeitgenossen mit zu schweren Bankkonten werden als Geldgeber akquiriert, das Musical -Bauherrenmodell, so wird in Aussicht gestellt, soll nach zwei Jahren in die Gewinnzone kommen. Eine gigantische Werbekampagne überzieht das Land mit dem Firmenlogo, einer weißen Halbmaske auf schwarzem Grund; jeden Furz, den die Kompanie in der Vorbereitungs- und Probephase läßt, bläht eine emsige PR-Bande zum heißen Sturm im Showbuisineß auf, der tags drauf durch die Boulevardpresse weht.

Welch ein glücklicher Umstand, daß Kurz sein Projekt im Arme-Leute-Viertel zwischen Altona, St. Pauli und Eimsbüttel angesiedelt hat: Der hartnäckige Widerstand der Anwohner und sämtlicher Schmuddelkinder der Stadt gegen den „Kommerzpalast“ garantierte Publizität und Spannung während der gesamten Planungs- und Bauphase. Und in der Premierennacht entlud sich diese Spannung nicht nur im Theatersaal; das Hauptereignis fand draußen auf der Straße statt: Abenteuer für 2.000 geladene Gäste, die sich das Privileg, von der wilden Meute zu den Kulturimperialisten gerechnet zu werden, die der „Umstrukturierung“ des Viertels Vorschub leisten, mit 1.000 Mark Eintrittsgeld und - im Falle eines Farbbeuteltreffers - den Reinigungskosten für die Galarobe erkauft hatten.

Der Ort ist unwirtlich geblieben: Provozierend schiebt sich der Bug des steinernen Phantom-Tankers in eine stark befahrene Kreuzung. Im Rumpf steckt das - laut Eigenwerbung

-„größte Theater des europäischen Kontinents“, umgeben von noch ungenutzten Räumlichkeiten für einen Supermarkt, Büros, Restaurants und für die Devotionalienläden der Phantom -Verwertungsstrategen. Friedrich Kurz hat den verklinkerten Betonbau in kaum eineinhalb Jahren hochziehen lassen - Eile war geboten, denn seine Lizenz für das Musical wäre Ende Juni verfallen. So blieb der Bau ein grober Klotz, auch optisch eine Kultstätte des Kapitals.

Aber drinnen regieren die großen Gefühle. Hier ist das Refugium von inniger Liebe und tödlichem Haß, der Austragungsort von Leidenschaft und Laster. Hier ist die opulente Pariser Oper, in der schaurigschöne Dinge passieren: Erpressung und Mord, Entführung und Intrige, Triumphe und Erniedrigungen. Und hinter allem steckt ein entstelltes Wesen, das sich in den Katakomben des Hauses eingenistet hat. Niemand sieht es, doch es ist ständig präsent. Nur der jungen Sängerin Christine zeigt es sich, das Gesicht hinter einer Maske verborgen. Ihr gewährt das geniale Phantom Einblick in sein unterirdisches Reich, denn

-wir ahnten es - der Unheimliche liebt die Holde. Er ist ihr bei der Karriere behilflich, aber sie liebt Raoul, den adligen Jugendfreund. Das Monster wittert Verrat und verschleppt Christine an einen dunklen Ort. Orpheus-Raoul folgt seiner Eurydike und begibt sich damit in tödliche Gefahr. Ein bißchen Zuneigung rettet alle und führt die Liebesgeschichte ihrem unausweichlich guten Ende zu.

Die rührende Geschichte stammt von dem französischen Juristen und Krimiautoren Gaston Leroux (1868 bis 1927). Er hat sie erträglich, weil mit einem Hauch von Ironie erzählt. In der musikunterlegten Webber-Fassung gibt's keine Ironie. Der Brite hat - in einem Anflug von Größenwahn? - versucht, das Genre Musical hinter sich zu lassen und, dem Gegenstand entsprechend, eine veritable Oper zu schreiben. Da gibt es Anflüge von Rezitativen und Arien, dramatische Duette, Chorgedonner, Verarbeitungen eines Hauptthemas - und doch wird nur dünne Soße ausgegossen. Die Webber-Musik mündet immer im unverbindlich Süßlichen - und spekuliert mit dem großen Hit und damit mit dem kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenner des Publikums.

Selbst eine große Stimme wie die des bayreuthgestählten Tenors Peter Hofmann (Phantom) kann die Fadenscheinigkeit der Komposition nicht kaschieren. Da hilft auch nicht das „Tondesign“, die raffinierte Mikrophon- und Lautsprecheranlage, die alle Stimmen verstärkt (und verhindert, daß der Zuschauer ortet, wer im Bühnengewimmel gerade spricht oder singt), zumal sie feinere gesangliche Differenzierungen eiskalt nivelliert, alle leisen Töne blechern widergibt.

Und doch bleibt die perfekte Bühnentechnik das einzig Beeindruckende an dem Spektakel. Sie simuliert mit viel Trockeneisnebel einen unterirdischen See, aus dem Hunderte von brennenden Kerzen und Kandelaber auftauchen, das Phantom schleudert erschreckende Blitze auf seine Widersacher; und überhaupt ist der Pyrotechniker ein vielbeschäftigter Mann. Allenthalben lodert Feuer auf, explodiert's oder schießt's. Der Top-Act aber bleibt einem Kronleuchter vorbehalten, eine halbe Tonne schwer, der vom Plafond des Zuschauersaals herabfällt, knapp über den Köpfen der staunenden Massen abschwenkt und auf die Bühne knallt. Szenenapplaus.

Das High-Tech-Märchen ist so kalt wie der Bau, in dem es zur Aufführung gelangt, so vordergründig wie die vergoldeten Plastikputten an der Bühnenumrandung. Und daß sie so platt bleibt wie ein Abziehbild, darüber wacht die Webber-eigene Verwertungsgesellschaft „Really Useful Company Ltd.“: Das Stück muß in Hamburg, in New York, in Wien und in Toronto bis ins kleinste Detail so aufgeführt werden, wie von der Londoner Geschäftszentrale vorgegeben. Darin besteht die Arbeit des Regisseurs Harold Prince und der Choreographin Gillian Lynne: Sie kontrollieren, daß der einmal erarbeitete Standard in den Außenstellen brav rekonstruiert wird. Die Altonaer Filiale der Musical-Fabrik hat die Qualitätskontrolle passiert, die Investoren können kommen und sich davon überzeugen, daß ihr Geld gut arbeitet.

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