: Hennnig Voscherau: „Länder-Neugliederung kann kommen“
■ Verfassung reformieren, Kohle sichern, Verwaltung umorganisieren, Länder neugliedern - Hamburgs Bürgermeister über Norddeutschlands Zukunft in Ganz-Deutschland
Hamburgs Bürgermeister, Henning Voscherau, ist einem Nordstaat prinzipiell nicht abgeneigt. Der taz erklärte Voscherau, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen abgesehen davon, daß Hamburg natürlich Hauptstadt werden müßte.
taz: Herr Voscherau, sind sie Befürworter eines Nordstaats?
Voscherau: Ich bin Befürworter eines effizient arbeitenden Bundesstaates. Wir brauchen eine Verfassungsreform, die Rechte und Pflichten, Einnahmen und Ausgaben der Länder und des Bundes sauberer aufteilt als bisher. Eine Reform des Verfassungswesens im Bundesstaat, die im Rahmen der europäischen Integration wettbewerbsfähige, leistungsfähige, gestaltungsstarke Regionen in Deutschland schafft. Danach kann die Länder-Neugliederung kommen. Aber nur in dieser Reihenfolge. Erst einmal müssen die Länder Muskeln bekommen, dann ist auch Hamburg kein Tabu.
Wäre es nicht sinnvoller, direkt in Richtung Nordstaat zu gehen?
Nein, denn die Verwaltungsstruktur in Hamburg ist nicht nordstaats-kompatibel. In einem Nordstaat gibt es es eine Ministerialbürokratie und Kommunalverwaltungen. Bei uns gibt es weder das eine noch das andere. Bei uns gibt es Gewusel.
Bei seiner Stadtgröße hat Hamburg doch mindestens das Kaliber eines Regierungsbezirks...
Warum sollten wir über Hamburg in anderen Kategorien als der einer Landeshauptstadt sprechen?
Ihr Parteifreund Björn Engholm mag ja Lübeck besonders gern. Würden Sie mit ihm über diese schöne Stadt als Landeshauptstadt reden mögen?
Ach, das hat wirklich spielerische Züge. Solange wir eine Debatte über Bonn und Berlin haben, die ja doch realistischer ist, glaube ich nicht, daß es viel Sinn macht, sich Nordstaats-Hauptstädte auszudenken.
Würden Sie einen Nordstaat in den großen Grenzen sehen einschließlich Bremen und Niedersachsen?
Solange man nicht weiß, wie viele Muskeln die Länder in der neuen gesamtdeutschen Verfassung haben, solange man nicht weiß, ob sie über eigene Einnahmenquellen verfügen, macht die ganze Grenzfrage keinen Sinn. Das sage ich ausdrücklich an die Adresse meines Senatskollegen Horst Gobrecht (Hamburgs Senator für Bundesangelegenheiten und Nordstaat -Fan, d. Red.). Man tut den zweiten Schritt vor dem ersten, wenn man die Nordstaatgrenzen auf die Landkarte zeichnet, ohne zu wissen, was so ein Nordstaat eigentlich tun soll. Und bedenken Sie bitte, daß ein Nordstaat jetzt über die deutsch-deutsche Grenze hinweg diskutiert werden müßte. Mecklenburg, Vorpommern und ein Zipfel von Brandenburg sind noch strukturschwächer als das flache Land in Schleswig. Hamburg ist dagegen reich, hier haben 1,6 Millionen Menschen im letzten Jahr 42 Milliarden Steuern bezahlt. Dem privaten Reichtum steht öffentliche Armut entgegen, weil von den 42 Milliarden 31 durch den Rest der Bundesrepublik abgezogen werden. Das ist zuviel. Deswegen will ich, bevor ich über Mecklenburg und Schleswig und die Lüneburger Heide rede, wissen, wieviel von den Milliarden hamburgischer Steuern im Norden bleiben.
Interview: Donata Riedel, Jürgen Oetting
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