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Empfängnishilfe

■ „S“ von Split und „Killjoy“ von den Rattlesnakemen

BERLINER PLATTENTIPS

Wieder einmal geht unser Blick weit zurück ins letzte Jahrzehnt, in eine Zeit, in der in der BRD wenigstens musikalisch einiges passierte. La Loora waren eine von vielen Bands, die im Rahmen der Neuen Deutschen Welle versuchten, Pop mit avantgardistischem Anspruch zu machen. Aus den Resten von La Loora entstand nun Split, und deren Konzept ist von den alten Ansätzen gar nicht so weit entfernt, wenn auch entschieden eingängiger. Als ich allerdings die zweite Seite von „S“ (Vielklang, EFA) auflegte und sich die ersten Töne mehrmals schleifenartig samt Knacken wiederholten, merkte ich erst beim fünften oder sechsten Mal, daß da wohl ein Kratzer auf der Platte sein muß. Auch wenn dieser Gag (wenn es einer gewesen wäre und kein technischer Fehler) nicht besonders zeitgemäß wäre, hätte er doch in das Konzept von Split und seinen Mitmusikern gepaßt.

Viele Stücke beginnen als träumend schöner, stimmiger, wenn auch manchmal etwas kindlicher Cool Jazz, fallen dann bei den avantgardistischen Bemühungen auseinander, wenn der dazwischengeschmissenen Geräusche zuviel werden. Dazu singt Split wie Mickey Mouse. Allerdings hat die Distanz zwischen einer gestopften Trompete und einer piepsenden Stimme seinen Reiz, auch wenn Splits Organ ab und zu die Nerven ankratzt.

Andere Stücke sind eher funklastig, die Bläser wandeln sich von Seele zu hervorgestoßenem Schweiß, doch weiter singt Mickey Mouse, während der programmierte Groove eindeutig auf durchgestylte Schöneberger Tanzflächen schielt.

Wieder anderes („Shouts“) gemahnt in seinem einfachen Aufbau, dem reduzierten Rhythmusgeblubber, den trockenen Bläsern und vor allem durch den rhythmischen Sprechgesang von Mickey Mouse an The Fall und gleich das nächste Stück („Ballriders“) beginnt mit einem hendrixmäßigen Gitarrenintro und wird zum Slade-Stampfrocker (sieht man mal von den Computerdrums ab) mit Mitgröhlchorus, aber immer noch singt Mickey Mouse. „Still“ wiederum besteht nur aus Baby-Piano, Trompete und Meeresrauschen, und Mickey Mouse spricht „Still love you“, ganz ernsthaft.

Ich weiß nicht, ob diese Comic-Stimme ironisch gemeint sein soll, aber auf jeden Fall ist sie das einzige neben der kühlen Produktion, das ein Verbindungsstück zwischen den einzelnen Songs bildet. Entweder denkt man sich die weg (was zugegebenermaßen etwas schwierig ist) oder man sieht die Musik von Split als große Verarsche der Yuppie-Gemeinde und ihres Sade-Fimmels und tanzt einfach drauflos.

Ganz anderen Stoff bieten natürlich die Rattlesnakemen auf „Killjoy“ (Tiara Tonträger, EFA). Sie versuchen, dem Zeitgeschehen im Punk Rechnung zu tragen und erschließen sich zaghaft den Hardcore samt Metal- und Hip-hop-Crossover. Daß sie allerdings am überzeugendsten sind, wenn sie weiter den Tote-Hosen-Punkrock kultivieren wie auf „Human Failure“, hätte ihnen vielleicht jemand sagen sollen, denn ihre Rhythmuswechsel und kurzen Metal-Ausflüge enden nach viel Holpern und Bemühungen meist gescheitert in der saftlosen Produktion.

Die Entsprechungen finden sich im Text. Da stehen die Anprangerung der atomaren Katastrophe („Human Failure“) und Verweigerungsideologie („Killjoy“) neben ironischen Splatterfantasien („Chainsaw Hop“ und „Chainsaw Massacre“).

Im „Chainsaw Hop“ gehen sie musikalisch am weitesten, haben den DJ Candy Andie engagiert, der Cuts und Scratches beisteuert, und verpassen sich selbst eine Lektion in Rap, die zwar gelungen ist, allerdings auch fast fünf Jahre hinter der Zeit bleibt, denn nichts weiter als ein Beastie Boys- oder Run DMC-Aufguß ist das Ergebnis.

Überhaupt sind „Chainsaw Hop“ (wegen der geglückten Symbiose aus Rap und Metal) und „Chainsaw Massacre“ (wegen des konsequenten End-70er High-Speed-Gröhl-Punks, komprimiert auf eine Minute und 39 Sekunden) die besten Stücke. Nicht, daß der Rest sonderlich abfallen würde, aber das ist genau die Musik, die wir die letzten 13 Jahre gehört haben, zu der wir die Bierflaschen mit den Zähnen aufgemacht haben und von der es jede Menge bessere Platten gibt.

Thomas Winkler

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