: Hauptstadtfrage
■ betr.: "Hauptstadt Berlin, klar ey!", Kommentar von Erich Rathfelder, taz vom 26.6.90
betr.: „Hauptstadt Berlin, klar ey!“, Kommentar von Erich Rathfelder, taz vom 26.6.90
Wien ist deutsche Hauptstadt für fast 700 Jahre gewesen. Es sollte es wieder werden, dann hat alle Kabale um Rheinprovinz und Spreekapitale ein Ende. Wien ist weder seperatistisch noch preußisch-großkotzig. Multikulturell ist es eh. Überhaupt wäre es besser gewesen, BRD und DDR hätten sich beide Österreich angeschlossen. Die Friesen und Vorpommern sind so gut oder so schlecht Deutsche wie Vorarlberger, Grazer oder Wiener.
P.Meier-Bergfeld M.A., Meckenheim-Merl/BRD
Ich weiß, daß ich mit meinem Abi noch keine Reife habe. Dennoch bin ich so frei, unserem guten Richie, Herrn von Weizsäcker, zu sagen, daß es meist die Opas und Papis sind, die so arg an Berlin hängen.
Wir Jüngeren - das sage ich offen - finden das Verhalten der Berliner in der jüngeren Geschichte, etwa seit dem Schnauzbart-Wilhelm, keineswegs ausgewogen oder besonders verantwortungsbewußt.
Unter Wilhelm II. stürzte man aus Nibelungentreue in den Ersten Weltkrieg und zwar lauthals mit „Hurra, hurra!“. Und die Weimarer Republik war gewiß kein Ruhmesblatt, eher ein Feigenblatt für die Berliner und die Deutschen. Und unter „Adolf“ im „Tausendjährigen Reich“ rief Goebbels im Berliner Sportpalast nach „Butter oder Benghasi“ - und am Ende hatten wir das Chaos. Und unter Ulbricht und Honecker - das darf man fast schon nicht mehr sagen - jubelten die Berliner (Ost) wieder mal mit den Falschen, was jetzt sogar der Kobold Gysi weiß.
Seltsam: Immer waren die Berliner bei den Jubelpersern oder bei den Jubelpreußen - aber immer auf der falschen Seite. Und ziemlich spät erst und nachdem ihnen andere auf die Sprünge halfen, etwa aus Leipzig oder Dresden, vollzogen sie dann den Umschwung.
Soll dies nun unsere Hauptstadt, unser Vorbild sein? Gewiß soll Berlin eine Brücke zu Mittel- und Osteuropa sein, eine wirtschaftliche Metropole. Aber solange sowjetische Truppen um Berlin stationiert sind, kann ich es mir als Hauptstadt sowieso nicht vorstellen.
Jedoch der Bundespräsident kann doch als Repräsentant des vereinten Deutschland seinen Sitz in Berlin haben. Aber muß man Berlin unbedingt wieder zu einer alleinigen Zentrale hochmompern oder breitdiepgen?
Ehrlich gesagt, dazu ist uns Jüngeren die Berliner „Schnauze“ im Schnitt ein bißchen zu arrogant und zu egozentrisch. Auch ohne Berlin als Hauptstadt wächst zusammen, was zusammengehört: nämlich das ganze Deutschland und West- und Mittel- und Osteuropa.
„Teilung kann man nur durch Teilen überwinden“, so hört man heute überall. Teilen wir also auch die Funktionen untereinander auf: Berlin als wirtschaftliche Metropole zwischen Ost und West und als Sitz des Bundespräsidenten. Bonn als bescheidener Verwaltungs- und Regierungssitz, so daß die anderen Länderhauptstädte im ganzen Deutschland ihr föderatives Gewicht behalten.
Wolfgang Müller, Freiburg/Breisgau/BRD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen