: Kronzeugen, aber keine Verräter?
■ Die Rückkehr der RAF-Aussteiger aus der DDR bringt den Staat in Zugzwang
Drei der in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger kehren „freiwillig“ in die Bundesrepublik zurück, um sich den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zu stellen. Andere werden den Schritt rasch nachvollziehen und damit ein Signal verstärken. Das Signal heißt Kooperationsbereitschaft. Es wird jene wohl endgültig zum Schweigen bringen, die viel zu lange der These von der RAF-Basis DDR nachhingen und damit die öffentliche Empörung über den Aussteiger-Unterschlupf im Osten erst richtig anheizten. Kein Zweifel: Wer in der DDR untertauchte, durfte dies nur als Aussteiger.
Die Mehrheit, wenn nicht alle in der DDR Festgenommenen sind aussagebereit. Aber es ist schlicht irreführend, wenn jetzt der Eindruck erweckt wird, ein Rudel von Kronzeugen komme da über die Grenze. Nicht zufällig betont Werner Lotze in seiner kurzen Erklärung dreimal, er hoffe auf das „Aussteigerprogramm“. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail: Ein „für Aussteiger geltendes Recht“, wie Lotze schreibt, gibt es nicht. Es gibt eine Kronzeugenregelung, in deren Genuß - Straffreiheit oder Strafminderung bei Mord nach der bisher gängigen Auffassung nur diejenigen kommen können, die sich als „Verräter“ ihrer früheren Gesinnungsgenossen zur Verfügung stellen. Das könnte sich angesichts einer von keiner Seite vorausgesehenen Konstellation ändern. Es gibt schlagartig mindestens ein halbes Dutzend von aussagebereiten RAF-Aussteigern: Bei entsprechend weiter Auslegung könnte die von Oberhardliner Kurt Rebmann seinerzeit gegen den Widerstand des Verfassungschutzes durchgepeitschte Kronzeugenregelung nun auch denen zugute kommen, die im Einvernehmen mit denen, die sie belasten, zur Aufklärung von Straftaten beitragen. Das Einvernehmen ergibt sich daraus, daß die so Belasteten in ihren eigenen „Geständnissen“ ebenfalls aussagen und keine zusätzlichen Strafen zu erwarten haben. Dazu bedarf es Absprachen mit den Ermittlern der Bundesanwaltschaft, die ihrer Natur nach weitgehend dem entsprechen, was der Verfassungsschutz vor Jahren in seinem Aussteigerprogramm angeboten hat. Das Ergebnis wäre eine bisher nicht für möglich gehaltene Konvergenz von Kronzeugenregelung und Aussteigerprogramm. Wächst zusammen, was eigentlich nie zusammengehörte?
Vielleicht unterschätzen derlei Hoffnungen und Gedankenspiele das Rachebedürfnis des Sicherheitsapparates und vor allem von Teilen der politischen Entscheidungsträger, die die Demütigungen des Deutschen Herbstes 1977 längst nicht überwunden haben. Aber man muß kein Prophet sein um vorauszusehen, was passiert, wenn die Bundesrepublik die reuigen RAF-Heimkehrer einmal mehr mit gnadenloser Härte empfängt: Dann werden die anstehenden Prozesse zum Ausgangspunkt einer neuen blutigen Runde in dieser längst anachronistischen Auseinandersetzung.
Gerd Rosenkranz
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