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Naturtrieb-Hintertreibung

■ „La finta giardiniera„/„Die falsche Gärtnerin“ im Hebbel-Theater

Finta“ ist etwas Vorgetäuschtes, alles, was nicht mehr unterscheidbar sein soll von dem, das es vortäuscht zu sein

-in allen Bereichen des kriegerischen Lebens, bei der Arbeit wie beim Anziehen. „Finta“ meint ebenso Dichtung wie falscher Zopf.

La finta giardiniera heißt die erste von Mozarts frühen Opern (mit 18 hat er sie komponiert), welche, so wird gesagt, untrüglich seine unverwechselbaren Züge trägt. Ihr mag ein dem damaligen Geschmack entsprechendes, insofern konventionell zu nennendes Libretto zugrunde liegen harmlos aber ist seine Geschichte nicht. Jede Oper erfordert im 5. Akt, so A. Kluge, aus Prinzip das Opfer einer Frau hier aber ist ein (vorgetäuschtes?) Opfer, sprich: die Ermordung der Heldin der Anfang. Ihr gräflicher Geliebter hat sie in einem Eifersuchtsanfall erstochen, zweifelt auch keineswegs, dies tatsächlich getan zu haben, und ist gerade dabei, sein Heil in der Flucht vor der gerichtlichen Verfolgung zu suchen. Ebenfalls geflohen, das heißt für alle Welt tatsächlich verschwunden wie nur irgendeine Tote, ist auch die (fast?) getötete Violante Onesti, die Gewalttätig -Ehrbare. Hat die Gewalttat schon nicht ihr Leben vernichtet, so doch ihren Namen. Als die falsche Gärtnerin Sandrina, und vielleicht nicht einfach aus Liebe, wie der frühere Titel der deutschen Übersetzung nahelegt, hat sie sich auf die Suche nach ihrem Mörder gemacht, dem Grafen Belfiore, der Schönen Blume. Am Hof des Podesta von Lagonero, wo sie zu Beginn des Stück ankommt, trifft Belfiore natürlich ebenfalls bald ein - allerdings nur, um sich gleich mit der Nichte des Machthabers verheiraten zu wollen. Das bringt sie, obendrein als Person niedrigen Standes den Zudringlichkeiten des letzteren ausgesetzt, (fast?) ein zweites Mal um.

Als die Nachricht von der Bluttat des Belfiore bei Hof eintrifft, kommt dem Machthaber das beigefügte Gesuch, den Mörder zu richten, nicht ganz ungelegen. Jetzt passiert es, daß ausgerechnet die Falsche Belfiore vor der sicheren Hinrichtung rettet, indem sie gegenüber dem Hof vortäuscht, die zu sein, die sie wirklich ist. Ihm aber, dem Früchtchen Belfiore, versichert sie, nur weil es ihre täuschende Ähnlichkeit ihr nahelegte, habe sie ihn retten wollen. Ein zweites Mal ihrer Identität beraubt zu sein kostet ihren und ihrer Schönen Blume den armen Verstand, der der Gewißheit der Sinne nicht mehr trauen darf. Sie erwachen entführt in einem dunklen Garten. Nur da erkennen sie sich, wo alle Ordnung außer Kraft ist und selbst die höfische Gesellschaft desorientiert promiskuitiven Umarmungen frönt. Wieder vernünftig geworden, wenden und bewegen sie sich voneinander ab und weg. Nur gewaltsam und gegen ihren Willen, von der Gewalt der Musik allein zueinandergeführt, stehen sie am Ende nebeneinander und singen, ohne sich anzusehen und auf alle illustrierenden Gesten, wie man sie bei Opernsängern so fürchtet, verzichtend: „Wir sind glücklich.“

Gewaltig ist die Spannung zwischen der Form der Feudaloper, gemacht zur Unterhaltung eines Herrscherpublikums, dem gewöhnlich die Eigenschaften der Güte und Milde symbolisch angedichtet werden, und einer Musik, die scheinbar automatisch solche Einsinnigkeiten unterläuft. Aber es ist vielleicht gerade dieser aristokratische Zuschnitt des Stoffes Eifersuchtsdrama, welcher der musikalischen Gestaltung erlaubt, die Nachtseite der Liebe, das mörderisch -feindlich Abgründige dieser Leidenschaft spürbar zu machen: Von der moralischen Blässe des bürgerlichen Trauerspiels nicht angekränkelt, in keinem kleinfamiliären Schonraum siechend, kennt Belfiore keine Reue wegen der vorausgegangenen Violation. Unbeirrt singt er von zarten Trieben und von der „Eifersucht, Ihr wißt schon...“. Mag es dabei wie immer um die „Härte und Beschädigung des einzelnen in der Durchsetzung seines Anspruchs auf Liebe“ (Pressetext) gehen, so handelt La finta, wenigstens in den vielen Nebenhandlungen, nicht zuletzt von der Schwierigkeit, sich unerwünschte oder ehemalige Geliebte vom Halse zu halten. Immer wieder unterbricht der Trieb der Musik den „natürlichen“ Vollzug angeblich „natürlicher“ Vereinigung.

Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer/Alexander Paeffgen beleuchtet, was im Stück nur für kurze Zeit im dunklen Garten irrlichtert. Die Szene im finsteren Wald spielt unter hellem weißem Licht, nur die Augen der Personen sind schwarz verbunden. Nachträglich rechtfertigt der glückliche Griff zu diesem Mittel hier die vielen stimmungsvollen Beleuchtungswechsel der ersten Hälfte.

Überhaupt bleibt die Bühne von herumstehenden Requisiten verschont. Ins Leere kann sich die Folge der geometrischen Konstellationen der sieben Figuren einzeichnen. Selbst einfache Gänge erscheinen sogleich als die formalen Bewegungen, die sie sind, auf einem größeren Plan. Gleichschenklige Dreiecke, das universelle Verhängnis, lassen sich direkt abbilden. Die Szene in freier Natur wird nicht ausgeschmückt durch Kulissen, nur eine paar getrocknete Blumen und zwei Stühle aus dünnen Ästen deuten an, was Mozart ohnehin komponiert hat: Waldhörner markieren von ferne, wie man im Rokoko Natur erfahren hat.

Der Text wird in einer zweisprachigen Version dargeboten, Teile des italienischen Orginals sind ohnehin verloren. So werden „ernste Partien“ der Opera seria italienisch gesungen. Das erlaubt, die Figuren gewissermaßen auf mehreren Niveaus anzusiedeln und die formale Gespaltenheit des Werks in ernste und komische Oper in sie hineinzutragen. Prinzipiell kommt das der Darstellung sehr zugute ebenso wie der Wechsel von formal stilisierter Strenge und ungewohnt lebendigem Spiel. Nicht daß die Übergänge an allen Stellen völlig glücken, manchmal wechselt das etwas undeutlich hin und her. Daß aber die Figuren nie zu blassen Schemen werden, liegt nicht zuletzt an den alles kenntlich machenden Kostümen (Kerstin Drechsel, Frederike Feldmann) und natürlich an der Musik und der herausragenden musikalischen „Leistung“ der Sängerinnen und Sänger ebenso wie der des Orchesters (geleitet von Christoph Hagel). Keine süß verklebten Verschleifungen, die Mozarts Musik oft schon im Anstrich kaputt machen. Das einfache Vertrauen in die Gewalt des Gesangs trügt nicht. Am schönsten zeigt sich das bei der Heldin (Daniela Bechly), die so gut wie nichts „macht“, nur traurig singt und wieder zum Bild erstarrt.

Unbelastet von der Pressemitteilung der Gruppe „Opera nova“, sie bestehe aus „hochmotivierten, jungen Sängern“ einer „Gesamtberliner Besetzung“ und habe es geschafft, das Projekt zu realisieren, obwohl derzeit die Gelder für den „Wiederaufbau der DDR zurückgehalten“ werden, spricht die Arbeit für sich. Gerne glaubt man, daß solche Arbeit „in der Routine des Repertoirebetriebes“ nicht möglich wäre, auch wenn nicht ganz einsichtig ist, daß dies an der Form des Repertoirebetriebs an sich liegen soll und nicht an seiner hiesigen Verwaltung, sprich: Intendanz, sprich: den schwersymbolischen Spalten im Bühnenboden und in der deutschen Seele. Lassen wir diese Rede als Finte gelten. Die Aufführung hat nicht enttäuscht.

Ralf Fiedler

Heute, morgen und übermorgen um 20 Uhr im Hebbel-Theater.

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