: Verhüllte Städteund Landschaften
■ Die Architektin und Fotografin Wang Xiaohui in der Werkbundgalerie
Es ist schon einige Zeit her, daß ich mit einem Inter-Rail -Ticket - jenem rollenden Jugendbordell flüchtiger Beziehungen - unterwegs war. Ich erinnere mich aber noch genau an die kilometerfressenden Nachtfahrten in Richtung Lissabon. Schwitzend hockten wir in einem stinkenden Abteil. Ein Idiot hat immer Gitarre gespielt. An Schlaf war nicht zu denken. Tagsüber durchrannten wir die Städte in Bahnhofsnähe. Nach vier Wochen hatte ich 24.000 Kilometer runtergerissen. Fragte mich später jemand, wie mir diese oder jene Stadt gefallen hatte, mußte ich eine Zeitlang nachdenken, bis mir wieder Bilder einfielen, die in der Schnelle haftengeblieben waren. Sie tauchten dann wie Geister aus dem Schatten auf.
Die Stadtfotografien der chinesischen Künstlerin und Architektin Wang Xiaohui, die seit vier Jahren in München lebt und deren Bilder in der Berliner Werkbundgalerie ausgestellt werden, sind mit einem ebensolchen Schleier aus kurzem Aufenthalt und flüchtiger Erinnerung belegt, gerade so, als wollten sie ihren Charakter nicht gleich und scharf preisgeben. Eine vage Barriere schiebt sich zwischen Motive und Betrachter, der sich unvermittelt einer ästhetischen Distanz gegenübersieht, die er überwinden muß, will er die Fotografie erleben. Spukhaft und im Widerschein aus Licht geben die Städte einen Ausschnitt von sich preis, der nicht zeigt, was sie sind, sondern zu dem führt, was sie ausmacht.
Wang Xiaohui hat europäische Städte fotografiert. Die Hüllen feiner Linien und durchsichtiger Flächen, die aus der Tradition chinesischer Pinselmalerei kommen, scheinen auch hier über die Fotos gelegt. Durch diesen Schleier hindurch dringt ein magisches Licht bunter Farben, mal gleißend und hell, dann wieder dunkel und geheimnisvoll, als wären die Orte sowieso nur Punkte auf dem Zelluloid und niemals real. Es sind Spiegelungen, Brechungen von Stimmungen, die man nicht vergißt, weil man sie wieder zu riechen glaubt:
Brüssel im Regen, über die Spiegelung eines feuchten Schaufensters fotografiert. Brüssel war immer im Regen, war schmierig aus Fett und kalt. Die Scheiben waren beschlagen. Abgestandener Rauch hing in der Cafe-Bar. Niemand ging vorbei; doch, ein Schatten. Brighton am Strand. Die Luft ist gelb bis grau, aber so diesig, daß selbst die Kiesel unter den Füßen verschwimmen. Es wird dunkel. Ein rotes Licht glimmt Wärme herüber. Draußen patscht das Meer gegen die Küste, gegen die Piers, gegen meine Füße. Oder Prag. Die Stadt war nachts heller als tagsüber. Grell. Blitze unentwegt. Rhythmisches Maschinengestampfe. Eine kleine Kreuzung erkennt man wieder, deren Umgebung im Dunkeln absäuft. Doch mittendrin hämmern die Straßenbahn -Schienenarbeiter unentwegt, schweißen und schweißen die ganze Nacht. Nächtelang. Das Licht ihrer Arbeit ist das vom goldenen Prag. Oder das Licht in Carbridge. Wer kennt Carbridge? Das winzige Nest in Schottland. Es gibt einen Umsteigebahnhof, das Post-Office, einen Shop, zwei, drei Häuser, sonst nichts. Wir müssen warten. Der Zug nach Edinburgh hat Verspätung, er hat immer Verspätung, sagt der Mann mit der Mütze. Aus Langeweile zählen wir hundertmal die fünf Lampen auf dem kleinen Bahnsteig. Herüber schimmert ein grünlicher Schein von den Bergen, die in Nebel getaucht sind und auf den Schienen reflektieren.
Wang Xiaohuis Reportagen aus Licht und Widerschein sind Bilder vom farbigen Abglanz. Die europäische Städte versinken in einem östlichen Licht, das das Motiv zwar indirekt und diffus aus dem Schattenreich der Brechungen und Spiegelungen entläßt, doch mit einer technischen Präzision, die mit Focus und Verschlußzeit die meßbare Genauigkeit fixiert. Die Aufnahmen rücken so in die Nähe von kunstvollen Gemälden, die nur Struktur, Farbe und Komposition sein und eigentlich nichts Konkretes über die Stadt aussagen wollen. Das sieht man in der Ausstellung spätestens dann, wenn man sich Wang Xiaohuis abstrakte Fotografien anschaut, auf denen aus Landschaften Konturen herausdestilliert scheinen und nichts mehr erkennbar ist.
rola
Die Ausstellung Licht und Widerschein ist bis zum 25.7. in der Werkbundgalerie, Goethestraße 13, Berlin 12 zu sehen, täglich von 16 bis 18 Uhr 30.
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