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STIEFKIND DER TOURISMUSFORSCHUNG

■ Kultur und wie sie sich ändert. Bericht zum diesjährigen Henrich-Harrer-Symposium

Kultur und wie sie sich ändert. Bericht zum diesjährigen Heinrich-Harrer

Symposium

Von Peter Kensok

Kultur ist mehr als Mozart, Bach, der selige Karajan und Salzburg - man wagt kaum daran zu erinnern, daß jene Großen nur kleine Rädchen eines Getriebes waren, zu dem wir ja alle gehören. Auch die ehemalige Bergbaustadt Hüttenberg hat eine alte, eigene Kultur, zu der Restaurants wie Stiller gehören, vor dem in einer Wiese Rehe äsen, während die Wirtin und gleichzeitig Metzgerin in blutigschmutziger Schürze die Bestellungen entgegennimmt und keine Fremden kennt, sondern alle duzt.

Doch wer kennt schon Hüttenberg im oberen Görschitztal, es sei denn als Geburtsort Heinrich Harrers, dem bedeutendsten Sohn der Stadt. Die Steuer trieb den berühmten Reisenden ins Fürstentum Liechtenstein wie Boris Becker nach Monaco.

Viele Filme hat er gedreht und Bücher geschrieben, ohne jemals die Schrift gestellt zu haben: „Ich bin kein Schriftsteller!“ Jedes Jahr kehrt der Professor h.c. (ehrenhalber) für vierzehn Tage in sein Dorf zurück, schaut auch mal beim Museum vorbei, in dem die Hüttenberger liebevoll Mitbringsel von seinen Reisen anordneten.

Einmal im Jahr kommen auch Wissenschaftler aus der ganzen Welt in diesem verträumten Nest zusammen, dessen Menschen noch genommen werden wollen, wie sie in Jahrhunderten geworden sind. Welch ein Gegensatz dazu der Gondoliere auf dem Einbaum im botswanischen Okavango-Delta, der deutsche Volkslieder pfiff und mit seiner Schweizer Uhr spielte, wenn er nicht gerade seine Fuhre südafrikanischer Touristen durch das flache Wasser stakte! Doch genau darum ging es auch während des diesjährigen Heinrich-Harrer-Symposiums. Jene Wissenschaftler sprachen über das, was den Namensspender seit seiner Erstbesteigung der Eiger-Nordwand als 26jähriger beschäftigt hat: Kultur und wie sie sich ändert.

Harrers Berichte über den kulturellen Wandel bei den Menschen des brasilianischen Rio Xingu und die Andamanen -Insulaner sind freilich schwer auf die Alpenländer zu übertragen. Und doch gibt es Parallelen: Hier wie dort fehlt es auch im Zeitalter des Massentourismus an richtungsweisenden Studien über die Wirkungen jener Völkerwanderungen in den Schulferien, von denen wir auch dieses Jahr nicht verschont bleiben werden. Der Münchner Ethnologe Walter Raunig fordert gar eine „neue Moral“, die jeden auf seine Mitverantwortung stößt: Bereiste wie Reisende, Unternehmer und Politiker.

Miroslaw Dragicewic leitet mit dem Institut für Tourimusforschung in Zagreb eine Ausnahmeeinrichtung, die sich auch mit den „culture brokers“ beschäftigt, die man Hüttenberg ebensowenig wünschen mag wie den Ausverkauf seiner Montankultur. Doch gerade Reiseveranstalter sind der Knackpunkt, wenn es um dieses Thema geht, gefolgt von den Politikern, deren Wiederwahl nur zu häufig von der funktionierenden Wirtschaft einer Region abhängig ist.

Wer davon lebt, mag nicht mehr über die Nachteile reden. Und so wundert es in diesem winzigen Kärntner Nest auch niemanden, daß sich vor der Hauptreisezeit kein Vertreter der bereisten Länder fand, der während des Symposions den Tourismus verteidigt hätte. Der Botschafter Papua-Neuguineas hatte kurzfristig abgesagt - sein Land boomt mit den Übernachtungen Fremder. Daß traditionelle Gastfreundschaft dem knallhart kalkulierten Eigennutz gewichen ist - wer mag sich dafür schon rechtfertigen?

Doch soweit ist Hüttenberg noch nicht. Und Bürgermeister Hermann Juritsch ist weit davon entfernt, es anzustreben. Seine Stadt ist zu weit ab vom Schuß für canarische Verhältnisse. Vorerst wird man hier nicht griechisch essen können wie in Griechenland, chinesisch wie in China - oder italienisch wie in Deutschland. Und ob es hier wie in Vorarlberg „Go-in-pubs“ geben wird und „Bodegas“ jenen zum Trost, die kein Zimmer mehr auf Mallorca bekommen haben, ist ebenfalls unwahrscheinlich.

Denn Juritsch hat Ursula Wilhelm aus Innsbruck gehört: Es gebe inzwischen Alpentäler, in denen Vermieterinnen von Privatzimmern sich in der Nebensaison von Nervenärzten wieder aufpäppeln lassen. Zu sehr haben sie ihre eigenen Bedürfnisse hinter die der Gäste gestellt, mit dem Zimmer auch sich als guten Geist vermietet, dem jedes Kopfweh eines Urlaubers ein schlechtes Gewissen verursacht.

Und Juritsch hat Hans Haid gehört, der eigentlich Volkskundler ist, aber auf Literatur zur Bewußtseinsbildung schwört. „Schnee“, so fand er heraus, „hat in den Alpen die Religion abgelöst.“ Da werden Skilifte geweiht und gesegnet, Trachtenkapellen putzen sich heraus, ebenso die Popen wie sonst zur Kirchweih, aber längst nicht mehr zur religiösen Erbauung und zur Bestätigung der kulturellen Identität. Die Dorfältesten schreiben den „Tanga-Ski-Cup“ aus, den gewinnt, wer am schnellsten im Knappesten, was die Bademoden zu bieten haben, unten im Tal wieder ankommt. Gefeiert wird der Sieg in der Disco, in der in einem Anfall von Nostalgie Wagenräder, Steigerstiefel und Sennertrachten an die Wand genagelt wurden - als oberflächliches Bekenntnis zu dem, was man Tradition nennt.

Kultur ist ein Stiefkind der Tourismusforschung. Gerade in den Ohren eines Heinrich Harrers, den die Stadtoberen einen „guten Touristen“ nennen, mag es zynisch klingen, daß sich für Erschließungsstudien in Alpentälern Hunderttausende Schillinge und Deutsche Mark auftreiben lassen, es aber für die Erforschung des Einflusses von Fremdenverkehr auf Gesellschaft und Kultur weder Mittel gibt noch Studien zur Kenntnis genommen werden, damit wissenschaftliche Empfehlungen wie diese praktische Folgen haben: die Bevölkerung dürfe nicht länger ihre eigenen Bedürfnisse ignorieren; die Erholung des Urlaubers dürfe nur soweit ausschlaggebend sein, wie auch die Natur in der Lage sei, sich zu erholen; Frauen trügen die Hauptlasten in den Urlaubszentren und bräuchten allein aus seelischen Gründen geregelte Pausen statt den Nervenarzt.

Doch auch das vergleichsweise unberührte Hüttenberg heute braucht Gäste wie die Bergarbeiter zuvor Schaufel und Hund zum Bergen und Abtransportieren des Erzes. Darin liegt die Tragik. Doch selbst Bürgermeister Juritsch, der gerade noch die Gäste willkommen hieß, graut davor, daß sie eines Tages Hüttenberg nicht mehr von anderen Alpenstädten unterscheiden könnten und er Cola-Dosen sammelt, die jene auf der Almwiese im Görschnitztal hinterließen, die weltweit verbrannte Erde hinterlassen und das Urlaub nennen.

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