: Stadtoberhäupter folgen Jelzins Schritt
■ Bürgermeister von Moskau und Leningrad verlassen KPdSU / Ligatschow gehört dem ZK nicht mehr an / An die hundert radikale Delegierte plädieren in einer Resolution für das Verbleiben in der Partei
Moskau (ap/afp) - Die Bürgermeister von Moskau und Leningrad, Gawriil Popow und Anatolij Sobtschak, sind am Freitag aus der Kommunistischen Partei ausgetreten. Sie folgten damit dem Beispiel des russischen Präsidenten Boris Jelzin. Sie begründeten ihren Entschluß mit den Worten, die KPdSU habe sich als unfähig erwiesen, ein realistisches Programm für den Übergang zu einer neuen Gesellschaft anzubieten.
Mit ähnlichen Worten hatte am Donnerstag Jelzin auf dem Parteitag der KPdSU seinen Austritt aus der Partei erklärt und daraufhin den Saal verlassen. Popow und Sobtschak gehören zu den Radikalreformern der Demokratischen Plattform.
Auf der ersten Pressekonferenz nach ihrer Abspaltung begründete Wladimir Lyssenko, einer der bekannten Vertreter der Demokratischen Plattform, diesen Schritt mit den Worten, der Parteitag habe die Forderungen der Demokratischen Plattform nicht erfüllt. Dazu gehörten die Abschaffung des demokratischen Zentralismus, der Verzicht auf den Kommunismus als Endziel, die Entpolitisierung von Armee, KGB und Miliz, die Entflechtung von Partei- und Staatsämtern sowie die Nationalisierung des Parteieigentums. Er gab bekannt, insgesamt 25 Delegierte des Parteitages hätten am Donnerstag die Austrittserklärung unterzeichnet - am Parteitag hatten insgesamt 110 Vertreter des radikalen Parteiflügels teilgenommen.
Der bisherige Rektor der Moskauer Parteihochschule Wjatscheslaw Schostakowski, der den Bruch mit der Mutterpartei vor dem Kongreß bekanntgegeben hatte, kündigte an, der Gründungsparteitag einer neuen Partei finde im Herbst statt. Daran sollen auch Vertreter anderer Gruppierungen und Parteien beteiligt werden.
Auf dem Parteitag sammelten gestern Mitglieder der Demokratischen Plattform in den Reihen der radikalen Delegierten knapp hundert Unterschriften für eine Resolution, die zum Verbleib in der Partei auffordert. Das Parteitagsforum hätte doch gezeigt, daß es möglich geworden sei, die Partei von innen heraus zu reformieren.
Angesichts der schwankenden Haltung der radikalen Delegierten äußerte sich der scheidende Parteiideologiechef Wadim Medwedew zuversichtlich über die Perspektiven: Die Partei könne sich nun um die Zentrums- und Links-Kräfte konsolidieren - „Sie sehen, die Demokratische Plattform hat sich gespalten, nicht die Partei.“
Bei der Kandidatennominierung für das neue ZK sieht es bisher so aus, als würde Gorbatschow eine klare Mehrheit von Reformbefürwortern in dieses Gremium hieven können. Unter ihnen tauchen eine Reihe bekannter Politiker und Intellektueller auf, die bisher nicht zu den Radikalen neigten und eher zentristische Positionen vertreten. Ligatschow wird mit Sicherheit nicht vertreten sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen