Das Herrschaftsdenken des DSB

■ Der DSB gewährt DDR-Trainern, die allesamt an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig ausgebildet wurden, nach der Sportvereinigung nur noch die B-Lizenz

Von Michaela Schießl

Ganz langsam kommt es wieder, das Selbstbewußtsein der DDR -Bürger, vielleicht doch nicht alles falsch gemacht zu haben.

Ein Volk, sich kollektiv schämend für seine unproduktive Existenz, erduldet die Übernahme durch den einst großzügigen und verständigen Bruder BRD. Man hat diese Entwicklung selbst gewählt, nach vierzig eintönigen Jahren wog die D -Mark schwerer als die abstrakte Vorstellung von Selbstbestimmung. Doch jetzt, als das Volk den Blick wieder von den Supermarkt-Regalen hob, stellte es fest, daß es nichts mehr zu sagen hat, aufgesaugt wurde statt gleichberechtigt. Ob dieser erneuten Demütigung erinnern sich viele der Errungenschaften der alten DDR, manch einer sehnt sich nach der verlorenen Identität. Besonders gerne erinnert man sich, nostalgisch grinsend, an die sportlichen Wettkämpfe, in denen der ehemaligen Klassenfeind und heutige Oberbruder wie ein amotorischer Kreisklassesportler aussah.

Doch nun wird auch diese letzte Bastion des Selbstbewußtseins geraubt. Die Vereinigung der beiden Sportverbände DSB (Deutscher Sportbund) und DTSB der DDR (Deutscher Turn- und Sportbund) folgt dem Muster der Politik: kompromißlose Übernahme. So sah DSB-Präsident, Hans Hansen, auch „keinerlei Veranlassung“, den Namen eines vereinten Sport-Verbandes zu ändern. Faktisch bekommt der DSB ja nur Zuwachs. Er und DTSB-Chef Martin Kilian legten eine schnelle Anpassung an die DSB-Strukturen fest: Gründung von Landessportbünden, die den Beitritt zum DSB beantragen. Am Schluß des Harakiri des DTSB: Nach der staatlichen Vereinigung, so das Statut, beschließt der DTSB seine Auflösung.

Der Todgeweihte stimmte zu, nicht zuletzt mangels Alternativen: Er ist bankrott, seit die wenig sachkundige Sportministerin Cordula Schubert die Subventionen gestrichen hat. Und der DSB ist natürlich penibel darauf bedacht, die Hebel der Macht im Griff zu halten. Doch wie sichert man die Herrschaft angesichts des enormen Potentials aus der DDR? Indem man die Schaltstellen besetzt. So legte die Vereinigungskommission fest, daß die an der DHfK Leipzig ausgebildeten Diplomsportlehrer in ihrem Spezialfach nur als B-Trainer anerkannt werden. A-Lizenzen werden nur in Einzelfällen auf Antrag von den Spitzenverbänden vergeben.

„Jutta Müller, Stefan Hetzer, Wolfram Lindner, alle Flaschen?“, empörte sich das DDR-Blatt 'Junge Welt‘. Sportpädagogen wie die oben genannten brachten unter anderem eine Katarina Witt, die Schwimmerin Kristin Otto oder Radsportler wie Olaf Ludwig zu Olympiasiegen. Der B-Schein entspricht in der DDR dem der Übungsleiterstufe vier.

Angesichts der erstklassigen Ausbildung in Leipzig und der Erfolge der Trainer zielt die Degradierung offenbar darauf, sie unter Wert zu handeln. Radrennfahrer Bill Huck: „Das ist eine ganz miese Taktik. Mit dieser Maßnahme sichert sich der DSB die Nationaltrainerposten, die schließlich die Teams berufen. Unsere Trainer müssen, auch wenn sie viel besser sind, die schlechter bezahlten Posten annehmen.“ Genialer Coup des DSB: Know-how zum Dumping-Preis, ohne die Macht zu verlieren.

Die formale Begründung für diesen Schritt ist nur oberflächlich schlüssig: „Hier bekommt ja auch kein Diplom -Sportstudent automatisch die Trainerlizenz“, sagt Prof.Rolf Andresen vom Bundesausschuß Leistungssport (BAL). „Es müssen zusätzliche Trainer-Lehrgänge beim DSB gemacht werden.“ Nur, dies ist nicht zu vergleichen mit den Strukturen der DDR: Dort wurde jede Form von Trainerausbildung über die DHfK Leipzig geleitet, der DTSB hatte nicht die Ausbildungs -Autonomie wie der DSB.

„In der DHfK wurde ja zu 60 Prozent nur Marxismus -Leninismus gelehrt“, versucht Andresen der DDR-Ausbildung die Qualifikation abzusprechen. Claus Tiedemann, Professor für Sportwissenschaft und Leiter des Sportfachbereichs an der Universität Hamburg, bescheinigt der DDR -Sportwissenschaft hingegen auf den Gebieten der Trainingslehre und der direkten Arbeit mit den Sportlern eine internationale Spitzenstellung. „Es ist schmerzhaft, die besten Trainer der Welt nicht übernehmen zu können“, klagt Kilian resigniert. Offensiver denkt Jürgen Hartmann vom DDR-Sportministerium: „Der Fußballverband der BRD schert sich doch einen Dreck darum, ob die Trainer die A-Lizenz haben, weil er autonom ist“.

So will auch Andresen und der DSB natürlich „nicht päpstlicher sein als der Papst“: Trainer, die Olympiasieger und Weltmeister trainiert haben, bekommen natürlich die A -Lizenz. „Da muß man pragmatisch vorgehen.“ Doch selbst die Gewährung dieser Gnade ändert nichts an dem Grundverständnis, das sich hinter dieser Regelung versteckt: Herrendenken.