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„Mach meine Kollegin nicht an“

■ Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Kollegen und Vorgesetzte spielen das Problem nach wie vor herunter / Eine ÖTV-Männergruppe versucht sich in der Sensibilisierung ihrer Geschlechtsgenossen / Jede vierte Frau ist betroffen / Kolleginnen in einem hessischen Metallbetrieb setzen sich zur Wehr

Von Gitta Düperthal

Am Vortag waren sie zusammen auf der Kirmes gewesen. „Das muß meinem Kollegen wohl signalisiert haben, daß er bei mir Chancen hat“, sagt Sabine B. Am nächsten Morgen nimmt der Kollege sie in seinem Auto zur Arbeit mit. Auf dem Weg zu dem Metallbetrieb „Yoshida“ im hessischen Weimar, hält er unvermittelt an. Was dann passiert ist, schildert Sabine B. so: „Er holt sein Glied raus und wichst. Als wir bei der Arbeitsstelle ankamen, hat er mich gefragt, ob ich ihm böse bin.“ Sabine B. hat wie die meisten Frauen in einer solchen Situation reagiert. Sie ist hilflos, wie gelähmt: „Nein, ich bin dir nicht böse.“

Später redet sie mit Arbeitskolleginnen darüber. Ihre Rechtsanwältin Silke Gärtner schreibt den Kollegen an: „Wir wollten ihm eine goldene Brücke bauen. Er sollte eine freiwillige Spende ans Frauenhaus geben, und eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Daraufhin drohte der Kollege mit einer Strafanzeige wegen übler Nachrede.“ Nun erst stellt Sabine B. ihrerseits Strafanzeige wegen exhibitionistischer Handlungen. Aber die Ehefrau des Beschuldigten beteuert, ihn an jenem Morgen zur Arbeit gefahren zu haben. Eine Zeugin erklärt, die Ehefrau im Wagen gesehen zu haben. Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt.

„Häufig ist es so, daß die Frauen, die mit so einem Mann verheiratet sind, den Fall decken“, weiß Rechtsanwältin Silke Gärtner. Staatsanwälte sind nach Erfahrungen der Anwältin nur mäßig interessiert: „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wird verharmlost, als Kavaliersdelikt angesehen. Insgesamt wollen die Männer da nicht ran.“

Sabine B. kündigt das Arbeitsverhältnis. Der Kollege wird in den Betriebsrat gewählt, eine Beförderung steht in Aussicht. Aber die Arbeitskolleginnen, die in der Industriegewerkschaft Metall organisiert sind, rollen Sabine B.'s Fall auf, schlagen Alarm und organisieren eine Betriebsversammlung. Der damalige erste Bevollmächtigte der IG-Metall-Verwaltungsstelle Marburg soll zum Thema sprechen. Der Bevollmächtigte sagt jedoch kurzfristig den Termin ab, er hat „Wichtigeres“ zu tun. Die Metallerinnen gehen in die Offensive: die Wahlperiode des Bevollmächtigten läuft ab, er wird nicht wieder gewählt. Einer der Gründe, die von den couragierten Kolleginnen offiziell genannt werden: Er blockiere die Frauenarbeit.

Nicht nur in den Gewerkschaften bewegt sich etwas. Die Frauenbüros in Mainz, Düsseldorf und Hannover, die Leitstelle „Gleichstellung der Frau“ in Hamburg, die ÖTV in Frankfurt beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Sexuelle Belästigung, so eine Studie der Hamburger Leitstelle, „beschreibt (...) immer nur ein einseitiges Annäherungsverhalten“. Es geht eben nicht um freiwillig eingegangene Beziehungen am Arbeitsplatz zwischen Männern und Frauen, etwa um gelegentlich willkommene Komplimente. Sexuelle Belästigungen sind nicht nur tätliche Angriffe. Es können auch anzügliche Bemerkungen sein, wie: „Ich hab es gern, wenn Frauen vor mir knien“, zu der Kollegin, die etwas im unteren Schrankteil sucht. Oder der Playboy-Kalender im Garderobenschrank.

Eine 1984 veröffentlichte Infas-Studie der Sozialforscherin Sibylle Plogstedt zeigte das Ausmaß männlicher Übergriffe: Jede vierte Frau wird einmal oder mehrfach am Arbeitsplatz belästigt. Sieben Prozent der belästigten Frauen verloren daraufhin ihre Arbeit. Sie wurden gekündigt oder sahen sich gezwungen, selbst zu kündigen. Nur sechs Prozent beschweren sich beim Betriebsrat und drei Prozent bei einem Vorgesetzten, obwohl diese Beschwerde für die Frauen sehr wichtig sein kann. So läßt sich vermeiden, daß nach der Kündigung eine Sperrfrist auf das Arbeitslosengeld die Frau noch zusätzlich bestraft.

Mühsame

Männerarbeit

Damit es zu solchen Kündigungen erst gar nicht mehr kommt, initiierte die Frankfurter ÖTV eine Befragung von Frauen im öffentlichen Dienst, die im Herbst dieses Jahres veröffentlicht werden soll. Von 8.500 Fragebögen wurden 1.100 zurückgeschickt, vielfach mit der Bemerkung versehen: „Toll, daß ihr das Thema jetzt anpackt.“

Begleitend zur Umfrage bietet die ÖTV Seminare an, die sich an Betriebs- beziehungsweise Personalräte und Führungskräfte wenden. Die wollen von der Problematik jedoch oft nichts wissen. In Frankfurt gibt es die Forderung, Frauenbeauftragte im öffentlichen Dienst von den beschäftigten Frauen als Ansprechpartnerinnen wählen zu lassen: „Ein Mißtrauensvotum an die Personalräte. Auch da sind die Männer nicht anders“, so Eva Backwinkel, stellvertretende Vorsitzende des Gesamtpersonalrates.

Bei den Seminaren, die von dem Soziologen Jochen Hoffmann und der Sozialpädagogin Karla Bitsch veranstaltet werden, geht es manchmal hoch her. Engagierte Gewerkschafterinnen müssen sich Sprüche anhören wie: „So wie du aussiehst, kein Wunder, daß du keinen abgekriegt hast.“ Soziologe Hoffmann teilt die Männer, die an seinen Seminaren teilnehmen, in zwei Sparten ein: in traditionelle und „nicht mehr traditionelle“. Er selbst zählt sich zu den letzteren: Ihm ist das Verhalten seiner Geschlechtsgenossen „nur noch peinlich“. Eine „Verunglimpfung der Männer“ wirft er den „traditionellen“ Kollegen vor.

Sensibilisierung der Vorgesetzten

Hoffmann hat für die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Thema die Schuldigen bereits ausgemacht: Väter, die zu Hause durch Abwesenheit glänzen; Lehrer, die in der Schule als Vorbilder versagt haben. Sie sind „mitschuldig an dem identitätslosen Mann“, der den Haß auf die - im Haus dominante - Mutter später auf alle Frauen überträgt. So seine psychoanalytische Deutung des Problems.

Der Gewerkschafter Peter Beres hat daraus Konsequenzen gezogen: Er hat in Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Frauenbüro eine ÖTV-Männergruppe gegründet unter dem Motto „Mach meine Kollegin nicht an“. Buttons mit diesem Slogan verteilen die Kollegen, sie organisieren Straßenstände, um bei ihren Geschlechtsgenossen „ein Problembewußtsein“ zu schaffen. Dabei beruft sich die Männergruppe auf Artikel 1 des Grundgesetzes: „Anmache tastet die Würde des Menschen an“ und demonstriert dies am Beispiel von Kalendern der Berufsgenossenschaften, in denen mit Bildern nackter Frauen ausgerechnet für Arbeitsschutzkleidung geworben wird. Die Gespräche mit dem Mann auf der Straße gestalten sich nicht immer einfach: „Als Memmen und Homosexuelle werden wir abgetan, aber damit haben wir gelernt zu leben“, so Peter Beres.

Warum in Hannover keine Fragebogenaktion gelaufen ist, begründet die Leiterin des Frauenbüros, Dr. Ursula Müller, so: „Das Thema ist bekannt. Wichtig ist die juristische Klärung. Es entsteht kein Unrechtsbewußtsein, wenn es keine drastischen Lösungen gibt. Mit einer fristlosen Kündigung oder einer Abmahnung ist es dennoch nicht getan. Es muß in der Abteilung weitergearbeitet werden.“ Sie sieht dabei ein „Führungsproblem neuer Art“: „Oft geht es darum, den Vorgesetzten zu überzeugen, daß er im konkreten Einzelfall mit dem betreffenden Mann redet. Dafür muß er selbst erst auch bei harmloseren Formen, die nicht vor die Gerichte gehen - für die 'Kategorie unerwünschte Intimität‘ sensibilisiert werden.“

Auch zum Rat der europäischen Gemeinschaften ist das Problem vorgedrungen: Eine Entschließung vom 23. Mai 1990 fordert die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dazu auf, bis zum 1. Juli 1991 einen „Verhaltenkodex über den Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz“ zu verfassen.

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