piwik no script img

Kenia zwischen Krise, Kritik und Kikuyu

■ Im ostafrikanischen Land unter der Einparteienregierung arap Mois stehen wie in vielen afrikanischen Staaten die Zeichen auf Sturm / Die städtische Elite probt den Aufstand, die Regierung spricht vom Wiederaufkeimen des „Tribalismus“ und geht hart gegen Dissidenten wie Kenneth Matiba und andere vor

Aus Muranga Knut Pedersen

Die bunten Häuser am steilen Hang, inmitten riesiger Zedern und Bambusbäume, erinnern mitnichten an das Nest einer nationalen Rebellion. Muranga, etwa 100 Kilometer nördlich von Nairobi, am Fuße des Kenia-Berges gelegen, weckt eher Reminiszenzen kolonialer Romantik. Hier, in den fruchtbaren, niederschlagsreichen, „weißen Hochländern“ (d.h. „frei“ von Schwarzen, d.Red.) hatten sich die britischen Siedler auf Dauer einrichten wollen. Die Mau-Mau-Revolte der Kikuyu, Kenias mächtigster Stamm, hat dem Traum ein brutales Ende gesetzt. Gegen alle Widerstände kam 1963 Kenyatta an die Macht. „Wie damals Kenyatta sitzt heute Kenneth Matiba im Gefängnis. Aber morgen ist er an der Macht“, erklärt ohne Umschweife ein Geschäftsmann in Muranga. Von hier kommt auch Kenneth Matiba, ein früherer Minister und heutiger Wortführer der demokratischen Opposition. Seit vergangener Woche sitzt er im berüchtigten Hola-Gefängnis ein: weil er Parteienpluralismus und mehr soziale Gerechtigkeit verlangt.

Vor zehn Tagen ist das „kapitalistische Schaufenster Ostafrikas“ in die Brüche gegangen. Anlaß war das Verbot einer Kundgebung, drei Tage nach der Verhaftung Matibas und eines anderen politischen Dissidenten, Charles Rubia. Das erste öffentliche Stelldichein für die Anhänger einer Mehrparteiendemokratie wurde unter diesen Umständen zum Schlagabtausch mit der Polizei. Es folgten fünf Tage Volksaufstand in Nairobi und mehreren Provinzstädten. Offizielle Bilanz: 20 Tote, 78 Schwerverletzte und 1.056 Verhaftungen. Unabhängige Quellen sprechen von mindestens 28 Toten. Die politische Auseinandersetzung hat zahllose kriminelle Gewaltakte entfesselt, fast überall gingen die Proteste mit Plünderungen einher.

Trotz aller Gerüchte, die 700.000 Slumbewohner aus dem Elendsviertel der 1,1-Millionen-Stadt Nairobi würden endgültig die Innenstandt stürmen, ist das vergangene Wochenende ruhig geblieben. Der seit 1978 mit seiner Einheitspartei „Kenya African National Union“ (KANU) regierende Staatspräsident Daniel arap Moi konnte sich am Freitag sogar den Luxus erlauben, im offenen Cabriolet an der Seite von Nelson und Winnie Mandela durch die Stadt zu paradieren. Die Rundfahrt war freilich nicht angekündigt worden. Und so grüßten die PassantInnen denn auch schweigend, mit erhobener Faust, als ob die - in Kenia unübliche - militante Geste schon ein Zeichen von Widerstand sei.

Sieben Frauen kenianischer Dissidenten hatten Mandela in einem Brief gebeten, für ihre inhaftierten Männer bei arap Moi ein Bittwort einzulegen. „Wir bewundern den Mut, mit dem Ihre Frau Winnie für Ihre Freilassung kämpfte. Bitte intervenieren Sie zu unseren Gunsten. Sagen Sie Ihrem Bruder, Präsident Moi, daß es noch Schmerzvolleres gibt als die Inhaftierung Schwarzer durch Weiße. Und das ist die ungerechtfertige Festnahme Schwarzer durch Schwarze, wenn der Schwarze nur die Freiheit und Menschenrechte will, wegen derer er gegen die Weißen kämpfte.“

Nelson Mandelas Antwort im weitgehend leeren Stadtstadium war eine allzu deutliche. „Welches Recht haben die Weißen, uns Demokratie zu lehren, wo sie doch zu Kolonialzeiten alle hinrichten ließen, die Demokratie forderten?“, rief der Gast aus Südafrika von der Ehrentribüne. Die Sequenz wird seither vom kenianischen Staatsfernsehen in allen Nachrichtensendungen wiederholt.

Man zieht nicht überall die gleichen Lehren aus der Vergangenheit. „Unsere Väter haben sich nicht die Briten vom Hals geschafft, damit wir uns heute die Stammesdiktatur von Moi gefallen lassen“, ereifert sich ein Rechtsanwalt in Muranga. Ihm zufolge sind die Kikuyu, mit rund 20 Prozent der zahlenmäßig bedeutsamste Stamm, heute aus Politik und Wirtschaft verdrängt. „Arap Moi beruft auf wichtige Posten nur Gefolgsleute seines Stammes, der Kalenji“, behauptet der Anwalt. Das Beispiel, das er anführt, der Energieminister Nicolas Biwott, antwortet zumindest aus der Ecke, in die er als „De-facto-Nr.-zwei des Regimes“ gestellt wird. „Was heute in Kenia vor sich geht, ist reine Stammesfehde. Die Kukuyu wiegeln das Volk auf, weil sie die Macht nicht mit anderen teilen wollen“, hat der Minister, ein Kalenji, am vergangenen Donnerstag im Parlament vertreten. Im ehrenwerten Hause folgten der Äußerung turbulente Wortgefechte.

Nur zwei Stämme: die Armen und die Reichen

Wie der Rest des Kikuyu-Landes, so ist auch Muranga am vergangenen Wochenende unter strenger polizeilicher Bewachung geblieben. Mit Plastikschildern ausgerüstete Einheiten patrouillierten in den Straßen, wo die Zufahrtswege gesperrt waren. Nur nach gründlicher Kontrolle wurden Fahrzeuge schließlich durchgelassen. Der Grund für solche Sicherheitsmaßnahmen: mehr als anderswo im Lande verkörpert Kenneth Matiba hier die Einheit einer ansonsten eher zersplitterten - politisch, sozial, ethnisch Widerstandsbewegung. Die städtische Elite, allen voran die Anwälte und Kleriker, verlangen mehr Demokratie. In den Vorstadtslums von Nairobi gärt sozialer Unmut. Und nach dem gewaltsamen und noch immer ungeklärten Tod des früheren Außenministers Robert Ouko im Februar dieses Jahres sind auch die Luo, der zweitgrößte Stamm des Landes, auf Distanz zum Regime gegangen. Sie verdächtigen arap Moi, aus blinder Rivalität die Ermordung ihres Wortführers befohlen zu haben.

Im explosiven Klima Kenias ist Matiba zum Funken radikalen Widerstandes geworden. Der heute 58jährige hat als Minister Ende 1988 seinen spektakulären Rücktritt eingereicht, um gegen „Wahlbetrug“ zu protestieren. Heute wird das Wort selbst vom Chef der anglikanischen Kirche Kenias, David Gitari, in öffentlichen Stellungnahmen benutzt. In kirchlichen Kreisen glaubt man allerdings, im Unterschied zu den politischen Dissidenten - rund acht ebenfalls verhafteten Rechtsanwälten -, daß eher Rechtsstaat und soziale Gerechtigkeit denn Parteienpluralismus auf der Tagesordnung stehen. Um dem wiederaufkeimenden „Tribalismus“ in die Parade zu fahren, hat der letzte Hirtenbrief der katholischen Bischöfe die Existenz von nurmehr zwei Stämmen verkündet: den „Stamm der Armen und der Reichen“.

Auch im erbitterten Sozialkonflikt ist Matiba zur Symbolfigur geworden. Der reiche „Selfmademan“ steht einer Hotelkette vor und exportiert per Luftfracht Schnittblumen nach Europa. Als Anhänger liberaler Marktwirtschaft läßt er keine Gelegenheit aus, die „Korruption der politischen Nomenklatura“ anzuprangern. Der Vorwurf unrechtmäßiger Bereicherung findet in den armen Vorstädten Nairobis ein verständliches Echo. Im sumpfigen Flußtal des Mathare leben Hunderttausende in Wellblechhütten. Viele von ihnen sind vom Lande geflohene Kikuyu-Bauern. In Sichtweite ihres Slums liegt der mondäne Riese namens Muthaiga-Club, zu dessen erlesenen Mitgliedern neben dem britischen Landadel nur die Creme der nationalen Elite gehört.

Zwei Parteien, damit man sich bei der anderen beschweren kann

Wie viele andere Kenianer bewegt sich John zwischen zwei Welten. Aus eher bescheidenen, mittelständischen Verhältnissen hat er sich mit familiärer Unterstützung zum Jura-Studium an der National-Universität hochgearbeitet. Wie der Rest der „Jeunesse dore“ verbringt John jeden Samstagabend im „Hollywood“, der modernsten Diskothek im Zentrum Nairobis. Aber am Sonntag morgen, als er mit seine Freunde in Vaters vorsintflutlichem Gefährt nach Hause kutschieren will, legt John denn doch „seine“ subversive Kassette auf. Seitdem die Regierung Jagd auf Protestlieder macht, gibt es welche für jeden Geschmack und jedes politische Ereignis.

Johns Kassette erzählt mit grausamer Ironie von den „Problemen, die auf das arme Volk der Muoroto niederkamen“. Der Slum wurde Anfang Juni so brutal geräumt, daß unter den 2.000 „unrechtmäßigen Landbesetzern“ mehrere zu Tode kamen was die Regierung leugnet. „Wenn es in diesem Lande zwei Parteien gäbe“, lautet der Refrain des Liedes, „dann könnten wir uns wenigstens bei der anderen beschweren.“ Das ist eine einfache Idee. In Kenia und anderswo in Afrika findet sie mehr und mehr AnhängerInnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen